Ballwechsel in der Mitte der Gesellschaft
Die Tischtennis-Herren treffen am Samstag im Spitzenspiel der 3. Bundesliga auf den SV Brackwede. Doch es steht noch ein weiterer Höhepunkt auf dem Programm.
Seine Leidenschaft für den Tischtennis-Behindertensport ist unverkennbar. Wenn Wieland Speer vom TTC Ober-Erlenbach von den Sportlern mit geistigem oder körperlichem Handicap berichtet, beginnen seine Augen zu leuchten, gestenreich erzählt er etwa von seinem ehemaligen Schützling Hartmut Freund, der zum Rückrunden-Auftakt am Samstag im „Wingert-Dome“ ein Gastspiel geben wird: „Trotz mangelnder Intelligenz, die mit dem jeweiligen Handicap verbunden ist, zeichnen sich die Menschen durch andere Kernkompetenzen aus, beispielsweise Hartmut Freund durch seine extreme Sensibilität. Er erkennt auf den ersten Blick, ob ein Mensch falsch ist oder Eltern ihre Kinder schlecht behandeln“, so Speer. Bis zu den Paralympics 2012 in London war er als Nationaltrainer des Deutschen Behindertensportverbandes tätig. In der englischen Hauptstadt räumten seine Athleten seinerzeit jeweils zwei Gold- und zwei Silbermedaillen ab – und das gegen ein fast übermächtiges Team aus China.
Trotz Handicaps überlegen
Seit Mai 2013 ist Wieland Speer, der in Heusenstamm wohnt, beim TTC Ober-Erlenbach aktiv – unter anderem als Pressesprecher. Tischtennis spiele er nur noch „just for fun“, mittlerweile stehe der gesundheitliche Aspekt im Vordergrund, sagt Speer lachend. Schon früh schlug der 52-Jährige, der im Alter von 13 Jahren auf Vereinsebene bei DJK Eiche Offenbach mit dem Tischtennisspielen begann, die Trainerlaufbahn ein. „Bereits mit 16 Jahren war ich Übungsleiter, das habe ich auch meinem damaligen Trainer zu verdanken. So konnte ich schon in jungen Jahren meine Leidenschaft dafür entdecken, den Sport anderen zu vermitteln“, erklärt Wieland Speer, der bereits als Nationaltrainer auf den Malediven, einem Inselstaat im Indischen Ozean, aktiv war und in Sri Lanka eine Tischtennisschule gründete. Spätestens seit seinem Engagement als Bundestrainer des Behindertensportverbandes macht er sich für Sportler mit körperlicher und geistiger Behinderung stark.
Wer denkt, dass die Sportler mit Handicap auf gesondertes Material zurückgreifen, der irrt: „Ball, Tisch und Schläger sind standardisiert. Es gibt jedoch auch Tischtennisspieler ohne Arm, die mit einer eigens angefertigten Prothese spielen, an deren Ende ein Schläger befestigt ist“, so Speer. Ihrem Handicap entsprechend sind die Aktiven in elf Wettkampfklassen unterteilt, etwa in die Kategorien Rollstuhlfahrer, Fußgänger und geistig Behinderte.
Menschen sensibilisieren
Auch wenn der Rückrundenauftakt der 3. Liga erst um 18 Uhr ist, öffnet der „Wingert-Dome“ bereits um 16.30 Uhr seine Pforten – denn erstmals findet dort ein „Tag der Inklusion“ statt: Eine Ballmaschine sowie große und kleine Tische stehen für die Gäste mit und ohne Handicap bereit. Hartmut Freund aus Baden-Württemberg sowie der Saarländer Tobias Thomas – beide sind Deutsche Meister im Tischtennis der Menschen mit geistiger Behinderung – werden in der Halbzeitpause des Bundesligaspiels in einem Schaukampf ihr Können an der Platte unter Beweis stellen.
Es ist davon auszugehen, dass am Samstag viele Zuschauer den Weg in die Wingert-Sporthalle finden werden: Im Vorfeld hat Wieland Speer unter anderem mit dem Behindertenbeauftragten der Stadt Rücksprache gehalten, um möglichst vielen Menschen aus Behindertenwerkstätten der Umgebung einen kostenfreien Abend in Ober-Erlenbach zu ermöglichen. „Es geht auch darum, die Menschen ohne Handicap zu sensibilisieren und ihnen die Augen zu öffnen, dass auch behinderten Frauen und Männern ein Platz in der Gesellschaft eingeräumt werden muss“, so Speer.