"Dass es so gut läuft, hatte keiner gedacht"

Der neue U 23-Weltmeister Jonas Gelsen vom RC Nassovia Höchst erlebt traumhafte Titelkämpfe in Italien
Varese -Wenn man schonmal in Italien ist, lässt sich dort auch gut Urlaub machen. Zumal Jonas Gelsen sich diese Auszeit redlich verdient hat. Direkt nach seinem überraschenden Titelgewinn bei den U 23-Weltmeisterschaften in Varese hängte er daher ein paar freie Tage in der Region mit seiner Freundin an. "Das hat sich angeboten", sagte der 20-Jährige gestern am Telefon. In seinem Heimatverein RC Nassovia Höchst warten sie derweil geduldig auf die Rückkehr ihres prominenten Club-Mitglieds. Am Montag wird Gelsen zurück in Deutschland erwartet, am Mittwoch (18 Uhr) ist ein Empfang für den neuen Weltmeister im Ruder-Einer geplant.
"Wir sind nicht nur begeistert, sondern euphorisch", sagte RC-Nassovia-Sprecher Hans Moosbrugger. "Zumal Jonas ein Eigengewächs ist". Seit dem 1. September 2012 fährt Gelsen für den Ruder-Club aus Höchst.
Vor acht Wochen noch Gips an den Händen
Noch immer fühlt es sich für Jonas Gelsen etwas unwirklich an, was sich in der vergangenen Woche auf dem See Lago di Varese über die olympische Wettkampfdistanz von 2000 Metern abgespielt hat. Der zwei Meter große und 95 Kilo schwere Unterliederbacher galt nicht als Favorit, obwohl er bereits im vergangenen Jahr Vierter der U 23-WM geworden war. Der Grund: Im Mai diesen Jahres hatte er sich bei einem Fahrradsturz einen Finger gebrochen und ein zweites Gelenk an der anderen Hand angebrochen. "Vor acht Wochen saß ich noch mit zwei Gipsen zu Hause", erinnert er sich.
Doch er war in dieser Zwangspause alles andere als untätig, arbeitete viel im Grundlagenausdauer-Bereich, speziell auf der Fahrradrolle. Diese Arbeit zahlte sich nun aus.
Wenngleich anfangs nicht absehbar, dass ihn der Weg bis zur Goldmedaille führen sollte. Er gewann zwar wie erwartet seinen Vorlauf, konnte aber noch nicht richtig einschätzen, wie gut seine Form tatsächlich ist. "Da hatte ich noch nicht gedacht, dass es am Ende so weit gehen wird."
Nach seinen Siegen in den Folgetagen in Viertel- und Halbfinale wusste er bereits, dass es gut läuft. Das Selbstvertrauen stieg. "Da habe ich langsam angefangen, mich reinzufinden. Dann lief es ganz gut. Ich musste mich auch zwangsläufig steigern. Die Gegner wurden immer besser."
Wie schon im Halbfinale, geriet er auch im Endlauf zunächst ins Hintertreffen. Sein Rückstand auf das führende Boot wuchs sogar auf drei Sekunden an. "Ich bin beim Start generell nicht der Schnellste und räume das Feld von hinten auf. Daher bin ich ruhig geblieben", sagt Gelsen.
Er holte auf. Und irgendwann sah er im Augenwinkel, dass er die führenden Boote einholte. Nach etwa 1200 Metern übernahm der 20-Jährige erstmals die Führung. "Da habe ich das erste Mal gedacht, dass ich es für die Top drei reichen könnte." Doch die Konkurrenz konnte nicht mehr kontern. Im Gegenteil, Gelsen vergrößerte seinen Vorsprung sogar weiter und siegte am Ende mit 3,18 Sekunden vor dem US-Amerikaner Isaiah Harrison.
Olympia 2024 in
Paris als großes Ziel
"Ich habe mich ganz gut gefühlt. Erst 100 oder 200 Meter vor dem Ziel war mir aber klar, dass es für den Sieg reicht. Denn der Amerikaner hat nochmal zum Endspurt angesetzt. Und das kann ich nicht so gut", sagt der neue Weltmeister bescheiden.
Im Ziel riss er den rechten Arm in Höhe und konnte "erst einmal gar nicht richtig glauben", was passiert war. "Dass es am Ende so gut läuft, hatte keiner gedacht."
Nun atmet er durch nach einer turbulenten Saison, die im Frühjahr mit Platz zwei bei der Deutschen Meisterschaft der Herren hinter Weltmeister Olive Zeidler bereits verheißungsvoll begonnen hatte. Dann folgte wenig später der Sturz und die achtwöchige Phase, in der er nicht ins Boot durfte. "In dieser Saison steht jetzt nichts mehr an", sagt der 20-Jährige - wohlwissend, dass auf ihn in der Heimat der ein oder andere Empfang wartet.
Ob er im nächsten Jahr seinen Titel bei der U 23-WM verteidigen wird, ist noch offen. Gelsen könnte zwar vom Alter her noch einmal starten. Doch vielleicht schafft er sogar den Sprung zur A-Weltmeisterschaft. Denn sein großes Fernziel heißt Olympia 2024 in Paris. Harald Joisten
