Hannah Hartlieb: Grenzen begegnen, Grenzen verschieben

Wie sich eine Oberurselerin als starke Frau in einer männerdominierten Sportart behauptet. Am Sonntag startet Hannah Hartlieb beim Ironman in Frankfurt.
Oberursel -Für viele junge Erwachsene sind die 2020er Jahre eine Zeit, in der sie nach Spaß und Abenteuern suchen: Partys, lange Nächte und das Erkunden eigener Grenzen stehen oft im Vordergrund. Doch für die 27-jährige Hannah Hartlieb aus Oberursel bedeutet das Ausloten der Grenzen etwas ganz anderes. Sie ist leidenschaftliche Triathletin und absolviert damit eine der herausforderndsten Sportarten überhaupt.
Wenn am Sonntag der Ironman in Frankfurt stattfindet, dann wird Hartlieb erneut auf die Probe gestellt: Sie muss die Herausforderungen 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen meistern. Ihr Ziel dabei: Sie kämpft um das begehrte - und einzige - Ticket in ihrer Altersklasse für die Weltmeisterschaft auf Hawaii. Dabei ist Triathlon für Hannah mehr als nur ein Sport - es ist ihre Leidenschaft, ihre „Therapie“, wie sie es nennt.
Die Faszination für diese herausfordernde Disziplin wurde durch ihren Vater geweckt, der ebenfalls am Sonntag antritt. Doch was treibt eine junge Person dazu an, den Großteil ihres Lebens dem Extremsport zu widmen?
Die Komparative „höher, schneller, weiter“ sind für Hannah Hartlieb keine leeren Worte, sondern ihr Antrieb. „Ich will wissen, was der menschliche Körper eigentlich so alles kann“, sagt sie. Ihre körperlichen Leistungen konnte sie im vergangenen Jahr bei ihrer Weltmeisterschaftsteilnahme auf Hawaii unter Beweis stellen. Jetzt will sie noch einmal dort teilnehmen und ihre Zeit verbessern. Für sie geht es darum, besser als ihr vergangenes Ich zu sein. „Vergleiche mit anderen tun nicht gut“, weiß sie.
„Um mich herum beim Start nur Männer“
Dass das keine leichte Aufgabe ist, steht außer Frage. „Der Ironman ist immer eine Grenzbegegnung - aber genau das ist es, was mich antreibt: Grenzen zu verschieben.“ Dabei meint sie nicht nur die mentalen und körperlichen Herausforderungen, sondern auch den Fakt, dass sie als Frau antritt. „Beim Ironman in Frankfurt liegt die Frauenquote unter zehn Prozent“, bemerkt sie. „Wenn ich mich beim Start aufstelle und um mich herum nur Männer, die zwei Köpfe größer als ich sind, muss ich schon meine Nerven behalten“, gibt sie zu. Drum möchte sie auch andere Frauen motivieren, sich zu bewegen und dem männerdominierten Sport mehr Frauenpower verleihen.
Mittlerweile nimmt sie die Starts gelassener, dennoch: Die Anspannung, körperlich wie mental, ist enorm. „Bei den ersten drei Ironman-Rennen habe ich immer geheult, weil der Druck so hoch war“, verrät sie. Nichtsdestotrotz liebt sie den Sport, kniet sich in jede Trainingseinheit rein. „Mein Tipp ist es, lieber früher aufzustehen: Ein Training wird nicht besser, wenn man es hinauszögert.“
Natürlich hat auch sie Tage, an denen sie keine Lust hat. „Der Sport gehört aber einfach zu meinen Leben dazu, ich bin in meiner Routine drin und schaffe mir so Disziplin.“ Disziplin bedeutet in ihrem Fall, an bestimmten Tagen vormittags um die 20 Kilometer zu laufen und danach noch zu ihrer Arbeit als Personalmanagerin und Ausbilderin in der Schwimmschule zu gehen. An Wochenenden kommen bei ihr schnell mal 360 Kilometer Radstrecke hinzu. Dafür ist ein eiserner Wille gefragt. „Man braucht schon einen starken Kopf, aber ich würde schon sagen, dass ich ein Kampfschwein in mir habe“, sagt sie lachend.
Triathlon zu betreiben, erfordert und nimmt vieles: Energie, Kraft, Zeit. Hannah Hartlieb hat aber auch viel durch ihren Sport gewonnen: „Ich bin viel selbstbewusster geworden, habe mir ein Standing erarbeitet und an mir gearbeitet“, sagt sie stolz. Neben ihrer Familie, ihrem Mann, ihrem Trainer und ihrem Freundeskreis helfen ihr in anstrengenden Momenten Mantras - kleine Sätze, die sie sich immer wieder sagt. „Alles, was kommt, geht auch wieder“ ist so einer dieser Sätze.
Alles für ein gutes Karma getan
Dieser war auch prägend, als sie bei einem Vorbereitungswettkampf auf Hawaii auf den letzten Kilometern des Radfahrens von einer Wespe in den Kiefer gestochen wurde. „Ich habe gemerkt, dass ich meine Zunge immer weniger bewegen konnte, aber dank des vielen Adrenalins ist nichts angeschwollen“, erinnert sie sich. Sie wurde im Sanitätszelt behandelt, nahm weiter am Wettkampf teil, wenn auch die Laufzeit litt. „Das hat mich schon sehr geärgert“, gibt sie zu. Jetzt habe sie einen Notfall-Pen dabei und alles für ein gutes Karma getan, damit so etwas nicht noch mal passiert. Heute kann sie darüber lachen.
Solche körperlichen Zwischenfälle können immer wieder passieren. Deshalb konzentriert sich Hannah Hartlieb nicht ausschließlich auf den Ironman. „Ich habe bewusst zwei Langdistanzen und die Teilnahme an der Zweiten Bundesliga gewählt“, erklärt sie. Die Bundesliga funktioniert nach einem anderen Rennformat: Hier steht eine Stunde lang maximale Anstrengung anstatt langandauernder Ausdauer im Mittelpunkt. „Damit es nicht so hart wird, wenn es mal nicht so läuft - denn das ist halt auch menschlich“, begründet die Ausdauersportlerin aus dem Taunus.
Chillen, wenn’s keinen Spaß mehr macht
Diese Einstellung versucht sie sich über ihre gesamte sportliche Karriere hinweg beizubehalten. Trotz großen Engagements und Ehrgeizes schafft es Hartlieb, nicht verbissen an die Dinge heranzugehen. Keiner wisse, was die Zukunft bringe. Daher hat sie auch keinen Zehnjahresplan. „Ich denke da eher in kleinen Paketen“, sagt sie. „Wenn es mir irgendwann mal keinen Spaß mehr macht, chille ich halt und trinke jedes Wochenende Aperol.“ JULIA LINDNER