Heute sind Kinder nach den Hausaufgaben immer noch in der Schule, in vielen Haushalten müssen Mutter und Vater Geld verdienen, um über die Runden zu kommen, sich etwas leisten zu können oder sich selbst zu verwirklichen. Und außerdem ist es doch draußen auf der Straße zu gefährlich, viel zu viel Verkehr.
Andererseits werden Straßensportler arg vermisst. Im Profi-Fußball fehle es an der Mentalität von Straßenfußballern, die beim „Zocken“ Variabilität, Spielfreude und Cleverness entwickelten, monierte Oliver Bierhoff, einst Direktor des Fußball-Bundes, als er noch etwas zu sagen hatte.
So gesehen, mag schon Maya Dregers Herangehensweise als klassische Straßensportlerin etwas Besonderes sein. Ihre Disziplin nennt sich sogar Street. Die beherrscht die Oberurseler Feldbergschülerin mit ihrem Skateboard inzwischen so gut, dass sie erst Deutsche Meisterin bei den Amateuren, dann bei den Professionals („Pros“) wurde. Die 17-Jährige konterkariert sozusagen eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung: Sie möchte auf die Straße, unbedingt. Mit dem Board ist sie fast immer unterwegs, auch auf dem Schulweg. Und wenn mal nicht, nimmt sie ihre Umgebung trotzdem als Skaterin wahr. „Ich sehe etwas, eine Treppe, ein Geländer, mir fällt eine Herausforderung dazu ein. Dann speichere ich mir auf dem Handy den Standort und komme irgendwann wieder, um es zu versuchen“, lächelt der Teenager.
Einen klassischen Trainingsort hat Maya Dreger freilich auch: den Skatepark in Stierstadt. Dort fährt sie täglich nach der Schule hin, gerne auch am Wochenende. Sie möchte auf den Rampen und an den Obstacles (Hindernissen) möglichst schwierige Tricks lernen – so bezeichnen Skater die Kunststücke, die sie mit dem Brett auf Rollen aufführen.
„Schuld“ daran hat Tante Pam. Sie lebt in Kalifornien, und die Dregers, kanadischer Herkunft, statteten ihr vor dreieinhalb Jahren einen Besuch ab. In Santa Cruz sei sie im ältesten Skateshop der Welt gewesen, habe vielen Skatern beim Üben zugeschaut.
Wieder in Deutschland zurück, probierte es die damals 14-Jährige mit ihrem Vater Norman und Jan, ihrem jüngeren Bruder, aus. Zeit hatten sie plötzlich genug: Es grassierte das Coronavirus.
Das Mädchen hielt sich an das ungeschriebene Skater-Gesetz: „Je länger man auf dem Board steht, desto besser wird man.“ Sie begann, sich ihr Board selbst zusammenzustellen. Die Breite des Decks (Holzbrett), die Größe der Rollen, 200 bis 250 Euro kommen da schnell zusammen. Inzwischen wird sie freilich von einem Frankfurter Ausrüster gesponsert und kann an ihren Boards basteln, so viel sie möchte.
Fast jeden Monat benötige sie ein neues Deck. Beim Poppen (Springen) schleife das Tail (hinterer Teil des Boards) über den Boden und nutze sich so ab, erklärt Maya. Manche Bretter brechen auch auseinander. Das sei ihr aber erst vier, fünf Mal passiert.
Als die Corona-Situation sich besserte, verspürte das fröhliche Mädchen den Drang, auch in einem Wettbewerb das Erlernte zu zeigen, sich nicht nur im Training im Skatepark oder auf der Straße mit anderen zu messen. Sie meldete sich im Sommer 2022 bei der Skateweek in Frankfurt an.
Die Skater treten an verschiedenen Orten gegeneinander an, ein Street-Parcours wurde zum Beispiel an der Hauptwache aufgebaut. Aufregend war das für Maya. Sie habe viele Skater kennengelernt, „richtige Pros“, die sie bis dato nur von Youtube oder Instagram kannte. Nun ja, die wussten dann auch, wer Maya ist. Sie gewann das Turnier direkt.
Prompt luden die neuen Kollegen sie zu einem Contest (Wettbewerb) des Club of Skaters (COS) nach München ein, übernachten könne sie in einer Privatwohnung. Davon habe sie erst einmal ihre Eltern überzeugen müssen, lacht das Mädchen. Die Reise lohnte sich. Maya gewann erneut, wie auch dann bei der deutschen Amateurmeisterschaft in Leipzig, wo sie die Jury mit einem Sprung mit dem Board über sieben Treppenstufen begeisterte.
Manchmal übt die Schülerin einen Trick bis zu einem halben Jahr, bis sie ihn kann. Sie verspüre einen richtigen Drang, es zu erlernen, immer besser zu werden.
In diesem Jahr startete Maya erstmals auch im Ausland (Rotterdam) und bei den nationalen Titelkämpfen in Ibbenbüren (bei Münster/Westfalen) schon bei den Professionals – also jenen Skatern, die sie bis vor einem Jahr nur aus dem Internet kannte. Die Oberurselerin wurde erneut Deutsche Meisterin. 820 Euro betrug ihr stolzes Preisgeld, die Frankfurter Skater-Marke Titus stieg als Sponsor ein.
Die Chancen für Olympia sind für die Oberurselerin dennoch gering. Bei Wettbewerben im Ausland müsste sie sich dafür qualifizieren, die internationale Elite, aber auch deutschen Kaderfahrer üben teilweise schon deutlich länger, sind jünger, die Japanerin Nishiya Momiji, erste Olympiasiegerin im Street, war 13. Kinder hätten dank kleinem Körper bessere Voraussetzungen und noch keine Angst, meint Maya.
Inzwischen übt die Schülerin auch auf einem Balance-Board zu Hause, macht Stretching, Krafttraining für die Beine. Dabei ist sie ihr eigener Trainer. Sie bereitet sich auf die populäre Serie „Best Foot Forward Europe“ der Board-Marke Blue Tomato vor. Bei den Contests möchte sie 2024 starten, sich für das Finale in Tampa Bay/Florida qualifizieren. Da gäb’s übrigens auch Punkte für die Spiele in Paris.
Mindestens genauso wichtig ist Maya Dreger der sportliche Erfolg aber in den heimischen Skateparks in Stierstadt oder Frankfurt. „Wenn ein Trick gelingt, schlagen andere als Anerkennung mit den Boards auf den Boden, man fühlt sich wie in einer Community“, sagt Maya. Wegen des Kontaktes mit entspannten Menschen übe sie diesen Sport aus.
Falls sie auf der Straße wieder mal spontan eine Herausforderung sucht, seien die Menschen wiederum manchmal nicht so entspannt. „Ich habe dann bestenfalls fünf Minuten“, grinst Maya, „bis sich jemand beschwert.“
Die Geschichte des Skateboardings begann in den 1950er Jahren an der Südwestküste Kaliforniens, als Surfer unter kleinen Surfbrettern Räder montierten. Ziel war es, die Bewegung auf der Straße nachzuahmen, wenn der Wellengang nicht günstig war. Skaten wurde in den 1990er Jahren auch in Europa populär, es entstand eine Alternativkultur, die für einen offenen und freien Lebensstil steht. Umso kritischer wird unter Skatern die Aufnahme ins olympische Programm und damit einhergehend sportpolitischer Einfluss und Profitgier verfolgt. Wegen der Vergabe der WM 2023 an die Vereinigten Arabischen Emirate zog sich der Kasseler Verein Mister Wilson, der eine der größten Skateboardhallen der Republik betreibt, als einer von fünf Regionalstützpunkten der deutschen Sportkommission Skateboard (SKSB) zurück – aus Protest.
Olympisch waren in Tokio erstmals zwei Disziplinen. Bei „Park“ fahren die Skater im Bowl, einer Art Swimmingpool mit steil aufragenden Wänden und scharfen Kurven. Für „Street“ werden Obstacles (Hindernisse) aufgebaut. Die Skater haben bei ihrem Run 60 Sekunden Zeit, sie anzufahren und Tricks (Kunststücke) zu zeigen. Stairs (Treppen) eignen sich zum Beispiel für einen Kickflip – einen Sprung, bei dem das Board in der Luft um die eigene Achse gedreht wird. Beim Boardslide springt der Skater auf eine Rail (Geländer) und fährt kurz daran entlang. Grundlage für alle Tricks ist der Ollie. Indem der Skater den hinteren Fuß nach unten poppt (drückt) und der vordere Fuß auf dem Griptape (Sandpapier) des Bretts nach oben schleift, kann er mit dem Board abheben.