Tobias Wentzell möchte bei den Weltspielen „etwas reißen“

Am heutigen Freitag beginnen die World Dwarf Games für kleinwüchsige Sportler in Köln. Für Deutschland mit dabei ist Tobias Wentzell. Der ehrgeizige Fußballer aus Stierstadt fiebert seinem Einsatz am Sonntag entgegen - und musste schon eine erste Enttäuschung verarbeiten.
Stierstadt -Dabeisein ist alles - das olympische Motto wird bei den World Dwarf Games gelebt, im Gegensatz zum heutigen Milliarden-Geschäft Olympische Spiele. Tobias Wentzell, wegen eines seltenen Gen-Defekts, dem FHUF-Syndrom, ohne Knie und Oberschenkel auf die Welt gekommen, freut es, dass es überhaupt diese weltgrößte Plattform für kleinwüchsige Sportler gibt. Einerseits.
Anderseits ist Wentzell, der heute bei der Eröffnungsfeier der World Dwarf Games in Köln für Deutschland einläuft, ein Sportler durch und durch. Der 24-jährige Fußballer aus Stierstadt, der das inklusive Team United von Teutonia Köppern als Kapitän anführt und mit ihm schon Hessenmeister war, möchte immer gewinnen, mit seiner Mannschaft etwas erreichen. Wenn’s aber vordergründig um den Spaß und nicht um die Leistung gehen soll, brauche er das eigentlich nicht, das gibt er unumwunden zu.
„Ich möchte etwas reißen“, sagt Tobias Wentzell. Mit Blick auf seine Auftritte im Nationaltrikot am Sonntag betont er das, wenn auch seine Erwartungen gedämpft worden sind.
Etwa 100 000 kleinwüchsige Menschen in Deutschland
Angesichts der vielen Anmeldungen kleinwüchsiger Sportler aus der Republik hat der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien (BKMF), der auch als Ausrichter der Weltspiele fungiert, gleich drei Fußballteams für Männer und eins für Frauen gemeldet. „Es haben einfach so viele Bock, mitzuspielen“, sagt Wentzell. Zum Teil ist das auch sein Verdienst, rührt er doch seit Monaten in den Sozialen Medien kräftig die Werbetrommel.
Rund 100 000 kleinwüchsige Menschen leben in Deutschland. Theoretisch könnten alle mitmachen. Pures Interesse reicht fast schon aus, um sich als Teilnehmer für einen Wettbewerb anzumelden. Die Kosten für Reise, Unterkunft und Sportausrüstung müssen die Teilnehmer freilich selbst bezahlen.
Das läuft in anderen Ländern wie Großbritannien oder den USA schon anders und deutlich professioneller ab, wo die Athleten einem Sportverband angehören, Bezuschussungen erhalten. Für die Weltspiele hat sich Wentzell bis zum Abschlusstag am 5. August selbst in einem Hotel in Köln eingebucht, von dem er weiß, dass die meisten deutschen Teilnehmer dort übernachten werden. Für den 5. August sind die Finalspiele im Fußball geplant.
Trainingslager mit dem Nationalteam in Köppern
Der 1,20-Meter-Mann aus dem Taunus war schon im Oktober für Deutschland beim Hallenturnier „Eurocopa Talla Baja“ im spanischen Murcia am Ball und erzielte sein erstes Länderspieltor. Dann gehörte er im Juni zum kleinen Aufgebot für das inklusive Trainingslager des Nationalteams auf der Anlage seines Heimatvereins Teutonia Köppern. Er habe sich halt frühzeitig angemeldet, erzählt Wentzell trocken, der als Kaufmann für Büromanagement, in der Marketingabteilung eines Autohauses arbeitet. Nach Leistung sei schon in der Vorbereitung auf die Weltspiele nicht wirklich selektiert worden.
Vor kurzem nun nahm Trainer Volker Becker, der Vater eines Spielers, Kontakt zu Wentzell auf, um ihm mitzuteilen, dass er als Führungsspieler für Team Deutschland 2 vorgesehen sei. Ambitioniert sei aber nur Team 1, weiß Wentzell - das wolle den Titel verteidigen, den Deutschland vor sechs Jahren im kanadischen Guelph überraschend errang.
Tobias Wentzells Ziele: Tore, Vorlagen, Viertelfinale
Wentzell machte aus seiner Enttäuschung über die Degradierung keinen Hehl, entschied sich nach Rücksprache mit seinem Vereinscoach Bruno Pasqualotto - der frühere Spieler von Borussia Dortmund ist auch Landestrainer Hessische Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes - aber dafür mitzuspielen. Eine sehr junge Mannschaft, in der hauptsächlich 17- bis 20-Jährige kicken, wird der Spielmacher aus dem Taunus, von seinen Vereinskameraden „Messi“ gerufen, anführen. „Ich möchte nicht nur Tore schießen, sondern auch ein paar Vorlagen geben.“
Schön wäre es, als Underdog das Viertelfinale zu erreichen, träumt Wentzell. Gegner sind am Sonntag in Gruppe B Großbritannien (10 Uhr), Norwegen (11.20 Uhr) und die Niederlande (13.20 Uhr). Die beiden jeweils Gruppenbesten unter insgesamt 15 Mannschaften ziehen ins Viertelfinale ein.
Auf dem Gelände der Sporthochschule Köln, auf dem heute auch die Eröffnungsfeier mit mehr als 500 Athleten aus 25 Nationen stattfindet, werden mehrere Vorrundenspiele gleichzeitig angepfiffen. Gespielt wird mit einem Torwart und sieben Feldspielern auf einem Kleinfeld. Eine Partie dauert zwei mal zwölf Minuten.
Seit 10 Jahren im Team United
Aufgeregt sei er noch nicht, sagt Wentzell. Um jedoch voller Vorfreude hinzuzufügen: „Wenn ich am Freitag das Nationaltrikot überstreife, wird sich das ändern.“ Schon seit der Gründung von Team United vor zehn Jahren ist der Stierstädter Teil der Mannschaft, seit 2017 stürmt er auch für das Nationalteam. Jede Woche trainiert er, teilweise auch in gesonderten Einheiten zur Verbesserung seiner Kondition.
Da sich ein jeder kleinwüchsiger Sportler unter den 13 Disziplinen auch für mehrere Starts entscheiden kann - Stichwort: Dabeisein ist alles - möchte der Zweitplatzierte der TZ-Sportlerwahl 2022 in Köln abseits des Fußballplatzes möglichst viel Spaß haben. Mit Paula Gorys, einer befreundeten Sportlerin aus Marburg, nimmt er auch am Boccia-Turnier teil.
„Wir haben das noch nie zusammen gespielt“, lacht Tobias Wentzell, „da werden wir eine ruhige Kugel schieben und mal schauen, was daraus wird.“
Das sind die World Dwarf Games
Mehr als 500 kleinwüchsige Sportlerinnen und Sportler aus 25 Nationen nehmen bis Samstag, 5. August, an den internationalen World Dwarf Games (WDG) teil und werden heute mit ihren Begleitpersonen und Familien feierlich begrüßt.
Die WDG sind weltweit das einzige Event, das hunderten Athletinnen und Athleten mit Kleinwuchs Sport und Wettkämpfe „auf Augenhöhe“ ermöglicht. Angeboten werden olympische Sportarten wie Schwimmen oder Basketball, aber auch Disziplinen wie Bankdrücken und Boccia. Ausrichter der Spiele auf dem Gelände der Sporthochschule Köln ist der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien (BKMF). Der Verein ist Deutschlands und Europas größter Interessenverband für die Belange kleinwüchsiger Menschen.
Das Event wird erstmals in Deutschland ausgerichtet. Die Wettbewerbe können per Livestream verfolgt werden. Zu einem Link gelangt man auf https://wdg2023.com/. Die nächsten Weltspiele werden 2027 in Australien sein.