Nordische Kombination: "Ganz klar: Wir wollen den Rückstand verringern"

Vor dem Start in den Weltcup 2019/20 der Nordischen Kombination spricht Bundestrainer Hermann Weinbuch über die neue Saison, das DSV-Team und seine Zukunft.
Plaengg - Seit 1996 ist Hermann Weinbuch als Trainer in der Nordischen Kombination in Deutschland tätig. Dabei feierte er zahlreiche Erfolge.
Im Interview mit chiemgau24.de spricht der Bundestrainer der Nordischen Kombination über die Weltcup-Saison 2019/20, die Veränderungen in der Nordischen Kombination, seine persönlichen Ziele und seine Zukunft.
Zudem gibt er einen Einblick in die deutsche Mannschaft und verrät, welchen Ort er im Terminkalender favorisiert.
Nordische Kombination: Bundestrainer Hermann Weinbuch im Interview
Herr Weinbuch, wie zufrieden sind sie mit der Vorbereitung auf die Weltcup-Saison 2019/20?
Ich bin sehr zufrieden. Wir haben als Mannschaft gut trainiert und vor allen Dingen im Skispringen einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht. In den vergangenen zwei Jahren hatten wir in diesem Bereich zu großen Rückstand auf die stärksten Springer, deswegen haben wir da auch gezielt angesetzt.
Welche Probleme waren das?
Wir hatten oft Probleme, die richtige Anfahrtshocke zu finden. Durch das viele Training im Ausdauerbereich ist die Muskulatur eines Kombinierers, vor allem im Rumpfbereich, stärker ausgeprägt als die eines Skispringers. Die Sitzposition ist dadurch nicht immer optimal, was Geschwindigkeitseinbußen zur Folge hat und das Absprungverhalten beeinflusst. Sitzt man nicht ausgewogen und vorne, bekommt man keine schnelle Drehung ins erste Absprungdrittel. Das ist in der neuen Technik aber ein wichtiges Kriterium.
Wie wollen Sie dem entgegensteuern?
Wir setzen genau an diesen Punkten an. Wir müssen eine bessere Hocke finden, können so das erste Absprungdrittel aggressiver angehen und auch das Material ideal einsetzen. Zudem haben wir die Sprunganzahl pro Trainingseinheit von sechs auf acht erhöht. Dadurch springt man nicht automatisch weiter, aber neue Abläufe spielen sich mit einer höheren Anzahl an Übungseinheiten besser ein. Grundvoraussetzung ist aber immer ein hohes Fitness-Level, was bei uns zum Glück nie ein Thema war.
Wie gehen Ihre Athleten mit diesen Veränderungen um?
Das wichtigste ist, das sie den Veränderungen gegenüber offen sind und immer versuchen, sich weiterzuentwickeln. Die älteren Athleten tun sich natürlich schwerer, ihre über viele Jahre eingespielten Abläufe umzustellen. Die Bewegungen im Skispringen sind so feinmotorig und sensibel, die lassen sich nicht von heute auf morgen umstellen. Den jüngeren Athleten gelingt die Umstellung besser. Sie sind einfach noch nicht so lange dabei und entsprechend flexibler.
Woher kommt die Tendenz in der Nordischen Kombination hin zum Skispringen?
Das Tempo in der Anfahrt ist in den vergangenen zwei Jahren um über zwei Stundenkilometer angestiegen. Das macht über 15 Meter aus, die man dadurch weiter springen kann. Wir sind in der Nordischen Kombination so nah an den Spezialspringern dran wie noch nie. Jarl-Magnus Riiber hat dieses hohe Niveau gesetzt. Er ist auf der Schanze so stark, dass er selbst bei norwegischen Skisprungmeisterschaften mit den Spezialspringern auf hohem Level mithalten kann. Da sich Riiber auch im Laufen kontinuierlich verbessert hat, ohne dabei seine Leistungsfähigkeit auf der Schanze einzubüßen, hat er das Niveau in der Kombination entsprechend angehoben. Wir und die anderen Nationen müssen darauf entsprechend reagieren und die Lücke auf der Schanze schließen.
Wieso ist Riiber so stark?
Er bringt eine Technik mit, die mit der eines Spezialspringers vergleichbar ist. Entsprechend profitiert er auch vom Material, da dieses mit fortgeschrittener Technik auf den Springer optimiert werden kann. Zudem ist er körperlich im Vergleich zu den Kombinierern, die sich übers Laufen definieren, leichter und beweglicher. All das macht ihn auf der Schanze entsprechend stark. Da er aber auch im Langlaufen große Schritte nach vorne gemacht hat, ist er derjenige, der in der Vorsaison neue Maßstäbe gesetzt hat.
Holt man prinzipiell auch Rat von den Spezialspringern ein?
Ja, es findet ein reger Austausch statt. Wir haben innerhalb des Deutschen Skiverbandes eine Wissenschaftskommission. Diese besteht aus Wissenschaftlern und den Cheftrainern und Technikern von Skispringen und Kombination. Drei bis vier Mal im Jahr sitzt diese Kommission zusammen und tauscht sich über die neusten Entwicklungen im Skispringen aus. Wir analysieren dort den Ist-Zustand der Weltspitze und versuchen, daraus die für uns sinnvollsten Schlüsse zu ziehen.
Besteht so eine Zusammenarbeit auch mit den Langläufern?
Nein. Das Langlaufen ist bei weitem nicht so technisch und von Feinheiten geprägt wie das Springen und bedarf nicht derart vieler Anpassungen. Daher konzentrieren wir uns im Austausch auf die Weiterentwicklung im Skispringen.
Ist das Gleichgewicht zwischen Langlaufen und Skispringen noch gegeben?
Da das Niveau im Springen aus angesprochenen Gründen so gestiegen ist, schlägt das Pendel momentan in Richtung Skispringen aus. In der Nordischen Kombination gibt es aber immer wieder Phasen, in denen eine Disziplin ausschlaggebender ist als die andere. Vor gut zehn Jahren beispielsweise waren die besseren Langläufer im Vorteil, da das Niveau im Laufen eben höher war als im Springen. Damals haben starke Läufer wie Magnus Moan, Hannu Manninen oder auch Mikko Kokslien regelmäßig Rennen gewonnen, wenn sie im Springen nicht unter den Top Ten waren. Inzwischen, das haben unsere Wissenschaftler ausgearbeitet, muss man im Springen unter die besten Acht kommen, um ein Rennen zu gewinnen.
Ist der Trend auch wieder umkehrbar?
Ja, absolut. Wenn die starken Läufer sich dem Niveau der Springer mehr und mehr annähern, müssen sich diese wiederum den Läufern anpassen, entsprechend könnte dann das Pendel wieder in Richtung Langlaufen ausschlagen. Daran wollen wir als deutsches Team unseren Anteil haben, indem wir uns den stärkeren Springern annähern und sie so unter Druck setzen, dass sie mehr ins Laufen investieren müssen. Aber klar ist auch: Bevor wir uns dem höchsten Niveau der Springer nicht angenähert haben, können wir von unseren Vorteilen im Laufen nicht profitieren. Weil wir dann einfach zu weit weg sind.
Kommen wir zur neuen Saison. Welche Ziele haben sie sich gesteckt?
Ganz klar, wir wollen den Rückstand im Skispringen verringern und uns damit in den Läufen wieder in eine bessere Ausgangsposition bringen. Dabei spreche ich nicht nur von dem einen oder anderen Athleten, wir wollen als Mannschaft die Lücke schließen und verhindern, dass wir den Anschluss an die Weltspitze verlieren. Auch im Hinblick auf die nächsten zwei Saisons, in denen die Heim-WM in Oberstdorf (2021) und die Olympischen Spiele in Peking (2022) stattfinden, ist diese Saison eine ganz wichtige und richtungsweisende. Und natürlich wollen wir im Laufe des Weltcups auch das ein oder andere Mal um den Sieg mitkämpfen und auch Podestplätze einfahren.
Welche Fortschritte sind innerhalb des deutschen Teams im Hinblick auf die neue Saison erkennbar?
Die Jungs haben die Ansatzpunkte im Skispringen gut umgesetzt im Training. Zudem springen wir ein neues Material, das einen sehr guten Eindruck macht. Auf welchem Leistungsstand wir dann tatsächlich sind, muss aber die Saison zeigen. Komponenten wie Form, Selbstvertrauen und äußere Bedingungen kann man nicht trainieren.
Wie entwickeln sich die jungen Athleten innerhalb des Teams?
Speziell Julian Schmid hat einen großen Sprung gemacht. Wir haben ihn neu in den Weltcup-Kader aufgenommen, zu Beginn war er der Schwächste und inzwischen ist er einer der stärksten Springer im Team. Auch David Mach hat sich sehr gut entwickelt und so seinen Startplatz für die ersten Wettkämpfe auch verdient. Bei Vinzenz Geiger macht mir ein technischer Fehler im Sprung etwas Sorgen. Er reißt beim Absprung mit dem Oberkörper zu stark auf und nimmt sich so etwas von seiner Anlaufgeschwindigkeit weg. Dadurch hat er im Sommer nicht den Fortschritt gemacht, den ich mir erhofft habe.
Sind die Jungen schon auf dem Niveau der arrivierten und hochdekorierten Athleten wie Eric Frenzel, Johannes Rydzek und Fabian Rießle?
Was das Springen angeht, ist das Niveau sehr ausgeglichen. Wir haben bei unseren Lehrgängen in Klingenthal, Planica, Kranj, Garmisch und Innsbruck jeweils einen teaminternen Wettkampf ausgetragen. Bei neun Wettbewerben gab es fünf verschiedene Sieger. Das spricht einerseits für ein ausgeglichenes Niveau, aber auch dafür, dass die Abläufe im Springen noch nicht stabil sind.
Wer sind ihre Favoriten auf den Gesamtweltcup?
Jarl-Magnus Riiber hat im Laufen noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht. Im Springen ist er, ausgehend von dem, was wir im Sommer gesehen haben, nur marginal schwächer geworden. Er hat für die neue Saison alle Trümpfe in der Hand und ist der, den es zu schlagen gilt. Aber auch den Österreicher Franz-Josef Rehrl und Akito Watabe aus Japan habe ich auf dem Zettel, da sie ebenfalls starke Springer und gute Läufer sind.
Sie sind seit über 35 Jahren im Weltcup mit dabei. Gibt es einen Ort, auf den Sie sich besonders freuen?
Seefeld in Österreich liegt mir doch sehr am Herzen. Dort bin ich als Aktiver Weltmeister geworden, habe als Trainer große Erfolge feiern können und finde das Seefeld-Triple, bei dem drei Wettbewerbe in drei Tagen stattfinden, ein gutes Event. Ich mag die Landschaft sehr gerne, wir sind dort in einem tollen Quartier untergebracht und auch meine Heimat und meine Familie ist nicht weit von Seefeld entfernt.
Sie sind seit 1996 als Bundestrainer beim Deutschen Skiverband tätig. Was treibt Sie immer wieder an?
Ich bin ein Kombinations-Fanat, die Kombination aus Springen und Laufen hat mich schon immer fasziniert und tut es bis heute. Ich kann mich immer wieder motivieren mein Wissen weiterzugeben und mit diesem tollen und konstruktiven Team zu arbeiten. Zudem macht mir die Arbeit mit den jungen Athleten so viel Spaß, ich will jeden Sportler besser machen. Dadurch entwickle auch ich mich immer weiter.
Wie lange planen Sie, ihr Amt auszuüben?
Der Leistungssport ist sehr schnelllebig, ich schaue daher von Jahr zu Jahr. Ich setze mir jetzt das Ziel, dass wir den Anschluss im Skispringen finden. Wenn das gut funktioniert, kann es gut sein, dass ich noch weitermache. Sollte uns das nicht gelingen, muss ich mir Gedanken machen, wie es weitergeht und ob es nicht Zeit für einen neuen Impulsgeber ist. Aber das sind alles keine konkreten Pläne, ich konzentriere mich jetzt voll und ganz auf die Aufgaben für die neue Saison. Und wenn eines Tages dann wirklich Schluss ist, kann ich diesen Schritt auch ganz entspannt gehen. Ich habe mir alles erfüllt, was ich mir von meinem Trainerdasein erhofft hatte.
Quelle: chiemgau24.de
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