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"Wenn alles zusammenkommt, kann Karl Geiger die Tournee gewinnen"

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Von: Tobias Ruf

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Skispringen: Martin Schmitt ist als TV-Experte für Eurosport bei allen Events der Vierschanzentournee mit dabei.
Skispringen: Martin Schmitt ist als TV-Experte für Eurosport bei allen Events der Vierschanzentournee mit dabei. © picture alliance/Nadine Rupp / Ruppografie/EUROSPORT/obs

Vor der Vierschanzentournee 2019/20 spricht Martin Schmitt im Interview mit chiemgau24.de über die Chancen von Karl Geiger, die Krise von Markus Eisenbichler und die Tournee-Favoriten.

Oberstdorf - Die Vierschanzentournee ist das Highlight der Saison 2019/20 im Skispringen. Martin Schmitt traut einem deutschen Skispringer dabei viel zu, sieht bei anderen noch Luft nach oben und äußert Bedenken bezüglich der materiellen Entwicklung im Skispringen.

Mit der Qualifikation in Oberstdorf beginnt am 28. Dezember die Vierschanzentournee 2019/20. Im Vorfeld spricht Martin Schmitt, Weltmeister, Olympiasieger und zweifacher Gesamtweltcupsieger im Skispringen, über den Zustand in der deutschen Mannschaft, die Favoriten auf den Sieg bei der Vierschanzentournee, die Gefahren in der Entwicklung des Skispringens und die Besonderheiten der Vierschanzentournee.

Dabei regt der heutige TV-Experte für Eurosport eine Entschleunigung im materiellen Bereich an und spricht über mögliche Hintergründe für das Risiko von Kreuzband-Verletzungen. Hier sehen Sie, wo Sie die Vierschanzentournee im TV, Liveticker und Livestream verfolgen können.

Herr Schmitt, wie fällt aus Ihrer Sicht die Zwischenbilanz für die deutschen Skispringer aus? 

Martin Schmitt: Karl Geiger springt bisher eine super Saison, er ist sehr konstant und steht zu Recht auf Platz 3 im Gesamt Weltcup. Schön ist, dass die Jungen Sportler Constantin Schmid und Moritz Baer immer wieder ihr Talent und Können zeigen. Mannschaftlich war der Start in die Saison jedoch etwas holprig. Leider haben noch nicht alle zu Ihrer Form gefunden.

Wen meinen Sie da im Speziellen? 

Vor allem bei Markus Eisenbichler und Richard Freitag läuft es noch nicht wie erhofft, da steckt natürlich viel mehr Potenzial drin. Aber die Saison ist noch jung und man muss auch berücksichtigen, dass viele Wettkämpfe in dieser Saison stark vom Wind geprägt waren, da hatten die beiden auch nicht immer Glück. Wenn dann der Bewegungsablauf noch nicht so stabil ist, wird das gleich ziemlich bestraft. Wichtig ist jetzt, dass sie in Ruhe weiterarbeiten und sich gezielt in Richtung Vierschanzentournee vorbereiten. Hier gibt es alle Termine zur Vierschanzentournee 2019/20

Sie haben Eisenbichler angesprochen. Wieso kommt der beste deutsche Springer der Vorsaison noch nicht in Fahrt? 

Markus hat einen außergewöhnlichen Sprungstil, er ist mit überragenden fliegerischen Qualitäten ausgestattet. Es muss bei ihm aber alles zusammenpassen, um den idealen Sprung zu erwischen. Er bewegt sich da im Gesamtpaket am Limit. Und wenn das Gesamtpaket nicht geschlossen funktioniert, wirft ihn das sofort deutlich zurück. Wenn aber alles zusammenpasst, ist er auch ganz schnell wieder auf dem Leistungsniveau, das er letzte Saison hatte. Dann kommt ihm auch sein Temperament und sein Ehrgeiz wieder zugute. 

Apropos Temperament. Eisenbichlers Zimmerkollege Karl Geiger wirkt nicht sehr temperamentvoll, ist dennoch erfolgreich. Wie bewerten Sie seinen Leistungsstand? 

Ja, Markus und Karl ergänzen sich gut (lacht). Karls Entwicklung ist bemerkenswert. Er hat sich kontinuierlich gesteigert und seit der letzten Saison weiß er, dass er zur Weltspitze gehört und es nichts mehr „Besonderes“ ist, wenn er da vorne reinspringt. In der aktuellen Saison bestätigt er das auf hohem Niveau. 

Was heißt das im Hinblick auf die Vierschanzentournee? 

Dass Karl da sicher ein Wörtchen mitsprechen wird. Neben der stabilen Form, die er hat, sind auf den Schanzen der Vierschanzentournee auch seine sportlichen Qualitäten gefragt. Er ist sehr dynamisch im Absprung und hat sich flugtechnisch enorm verbessert in den letzten Jahren. Zudem traut er sich auch, die ganz weiten Sprünge auszufliegen und steht sie sicher im Telemark. Das sind für die Vierschanzentournee sehr gute Voraussetzungen. 

Ist er ein Kandidat auf den Gesamtsieg? 

Wenn alles zusammenkommt, ist er das. Ich sehe den Japaner Ryoyu Kobayashi und den Österreicher Stefan Kraft derzeit noch etwas stärker, aber direkt hinter den beiden kommt für mich schon Geiger. Alle anderen Deutschen werden wohl nicht um den Gesamtsieg springen. Dafür sind die Leistungen zu schwankend. 

Hängen die schwankenden Leistungen mit dem Wechsel des Bundestrainers zusammen? 

An der Qualität des neuen Bundestrainers Stefan Horngacher und des von ihm mitgebrachten Trainerstabes liegt es sicher nicht. Deutschland hat mit Horngacher den idealen Nachfolger von Werner Schuster gefunden. Im Sommer hat das Team sehr gut gearbeitet, leider können es noch nicht alle zu 100% umsetzen. Trainerwechsel sind für eine gefestigte Mannschaft nie leicht, dennoch ist der Deutsche Skiverband da personell sehr gut aufgestellt. 

Wieso läuft es dann stellenweise nicht so wie in der Vorsaison? 

Das ist in der Summe schwer zu beurteilen, aber letztlich auch ein Sinnbild des Skispringens im Gesamten. Das Niveau ist technisch und materiell so hoch, der Sport besteht aus so vielen kleinen Elementen, die alle zusammenpassen müssen. Wenn da nur ein kleines Rädchen nicht ins andere greift, ist man sofort hinter der Konkurrenz zurück. Das Problem haben nicht nur die deutschen Springer, auch andere Top-Athleten aus der Vorsaison hatten ihre Probleme wie beispielsweise Kamil Stoch aus Polen und dann gewinnt er plötzlich in Engelberg. 

Welche Rolle spielt das Material? 

Das ist am Limit und reagiert extrem sensibel. Es ist so konstruiert, dass man die Ski im Flug sehr flach stellen kann, das erzeugt viel Auftrieb. Eine symmetrische Flugposition ist dabei extrem wichtig, damit es keinen Strömungsabriss gibt. Je aggressiver der Sprung ist, umso schwerer ist das zu kontrollieren. Das klingt simpel, ist aber ein ganz schmaler Grat. Kleinigkeiten entscheiden darüber, ob man das Material zum richtigen Zeitpunkt auch ideal einsetzen kann. Gelingt einem Springer das nicht, fehlen die entscheidenden PS. Wer das Material hingegen richtig einsetzt, hat quasi einen Turbo-Knopf zur Verfügung, der dann den Unterschied ausmacht. Selbst die Top-Springer tun sich sehr schwer, wenn sie diesen Turbo-Knopf nicht oder zu spät finden. Hinzu kommen die vielen Verletzungen, die auch mit dem Material zusammenhängen. 

Inwiefern? 

In die Schuhe werden dicke Keile geschoben, die den Unterschenkel vorne halten sollen, um so auch bei niedriger Anlaufgeschwindigkeit möglichst schnell die ideale Flugposition zu finden. Die Skier kommen dadurch schneller zum Körper, das erlaubt eine aggressivere Absprung-Übergangsphase. Das funktioniert zwar und macht den Sprung in der Flugphase sicherer und stabiler, ist bei der Landung aber ein großes Risiko. Die Keile sorgen für eine Vorlage des Unterschenkels, bei der Landung entsteht dann eine Art Schubladeneffekt. Es wird von hinten in den Unterschenkel gedrückt, so erhöht sich das Risiko für Kreuzbandverletzungen. 

Welchen Lösungsansatz gibt es, um diese Probleme zu lösen? 

Man sollte darüber diskutieren, ob man hier regulierend eingreift. Das Material ist so extrem, dass es zu großen Einfluss auf den Sport hat und auch für die Gesundheit der Athleten ein Risiko darstellt. 

Kommen wir noch einmal zur Vierschanzentournee. Was ist das Schönste für einen Athleten bei der Vierschanzentournee? 

Die Stimmung in den Stadien ist etwas ganz besonderes. Diesen Rahmen hat man als Skispringer nicht oft, entsprechend groß ist die Vorfreude. 

Was stört während einer Tournee ganz besonders? 

Auch wenn man weiß, was auf einen zukommt, der Terminstress ist doch recht hoch. Man hat zwischen den Stationen kaum Zeit zum durchatmen. 

Wie unterscheiden sich die Schanzen? 

Bischofshofen hebt sich deutlich von den anderen Schanzen ab. Der Anlauf ist außergewöhnlich flach und es gibt kaum Radiusdruck im Aufsprung. Der Rhythmus im Sprungablauf ist dadurch im Vergleich zu den anderen Schanzen sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, dass es keine vergleichbare Schanze gibt. Entsprechend selten sind die Springer mit solchen Bedingungen konfrontiert.

Quelle: chiemgau24.de

*chiemgau24.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks

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