Amazonas-Brände: Boliviens Präsident verirrt sich bei Löscheinsatz im Urwald - Soldaten eilen zu Hilfe

Die Brände des Regenwaldes im Amazonasgebiet könnten noch deutlich schlimmere Konsequenzen haben, als viele dachten. Es droht ein nicht aufzuhaltender Teufelskreis.
Update vom 30. August 2019: Boliviens Präsident Evo Morales hat sich bei einem Brandbekämpfungstermin im Urwald verlaufen. "Wir haben in der vergangenen Nacht ein kleines Abenteuer erlebt", sagte der erste indigene Staatschef Boliviens am Donnerstag vor Journalisten in Roboré im Osten des Landes. "Wir sind fast eine Stunde herumgeirrt, aber dank der Hilfe von Soldaten konnten wir den Rückweg finden", berichtete der Präsident lachend.
Der Fernsehsender Uno veröffentlichte ein kurzes Amateurvideo, in dem Morales mitten in der Nacht in einem Wald in der Nähe des Dorfes Caballo Muerto mehrfach ruft: "Wo sind Sie? Wo sind Sie?" Morales war vor Ort, um an der Bekämpfung der verheerenden Brände teilzunehmen, die nicht nur in Brasilien, sondern auch in Bolivien wüten.
Bolivien ist einer von neun südamerikanischen Staaten, auf deren Gebiet sich der Amazonas-Regenwald erstreckt. Die Regierung unter dem linksgerichteten Präsidenten Morales hatte am Mittwoch erklärt, Feuer hätten in diesem Jahr bereits 1,2 Millionen Hektar Wald und Grasland verwüstet. Umweltschützer gehen von einer deutlich größeren Fläche aus.
Amazonas-Warnung: Dramatischer Teufelskreis gigantischen Ausmaßes droht
Erstmeldung vom 27. August 2019
„Grüne Lunge“ der Erde - so wird der Amazonas-Regenwald genannt, weil er eine so wichtige Rolle für das globale Klima spielt. Doch wie eine menschliche Lunge leidet auch die grüne, wenn sie Feuer spürt. Die Funktion als Klimaanlage kann dann keine Lunge mehr ausüben.
Dass die Vernichtung des Regenwaldes durch die Brände den Bäumen die Möglichkeit nimmt Kohlenstoff aus der Luft zu nehmen und daraus Sauerstoff zu kreieren, ist den meisten Leuten bekannt. Dass die wichtigste Funktion eine andere ist, deren Ausfall noch viel gefährlicher ist, wissen hingegen wenige.
Amazonas-Katastrophe: Waldbrände haben verheerendere Konsequenzen als gedacht
Die Bäume speichern auch Kohlenstoff. Durch die schiere Größe des Amazonas-Regenwaldes, der das größte zusammenhängende tropische Waldgebiet der Welt ist, ist auch die Menge an Kohlenstoff, die dort gespeichert wird enorm. „Pro Jahr nimmt er schätzungsweise 400 Millionen Tonnen Kohlenstoff auf und reduziert so die Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre“, sagt Kirsten Thonicke der SZ. Sie ist Forschungsgruppenleiterin am Potsdam-Institut für Klimaforschung und Expertin für Waldbrände und Waldökologie.
Video: Die grüne Lunge steht in Flammen
Durch Fotosynthese, die grundsätzlich von allen Pflanzen betrieben wird, wird Kohlenstoffdioxid aus der Luft gefiltert und in organische Verbindungen umgewandelt. Diese werden anschließend zum Teil im Holz der Bäume gespeichert, die den Löwenanteil der Fotosynthese unter den Pflanzen leisten.
Die Konsequenzen, die die Amazonas-Waldbrände und die Abholzung der Fläche von 35 Fußballfeldern Regenwald pro Tag haben, sind verheerend. Nicht nur, dass jeder verlorene Baum kein Kohlenstoffdioxid mehr aufnehmen kann: Er gibt auch die gesamte Menge daran, die er bislang gespeichert hat, wieder ab - und das kann extrem viel sein.

Auf andere Art und Weise halten Flammen auch Mexiko in Atem. Im Küstenort Veracruz ereignete sich ein perfider Brandanschlag, bei dem 26 Menschen starben.
Amazonas: 150 Gigatonnen Kohlenstoff könnten am Amazonas freigesetzt werden
„Je nach Größe kann ein einzelner Baum mehrere Tonnen Kohlenstoff enthalten“, erklärt Jost Lavric der SZ, Gruppenleiter am Jenaer Max-Planck-Institut für Biogeochemie und wissenschaftlicher Koordinator des Forschungsprojektes „Atto“. Dieses soll das Ökosystem des Regenwaldes erforschen und verbesserte Klimamodelle hervorbringen. „150 Gigatonnen Kohlenstoff“ seien laut Lavric im Amazonas-Gebiet gespeichert.
Die großflächige Vernichtung des Regenwaldes führt somit zu einer erhöhten Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Luft und in der Endkonsequenz zu einer verstärkten globalen Erwärmung. Verlangsamen könnte diese Regen, der die Brände eindämmen und möglicherweise sogar stoppen könnte. Doch an dieser Stelle wird die Vernichtung des Regenwaldes zum Bumerang.
Eigentlich regulieren die Bäume den Wasserkreislauf. Das passiert zum Beispiel auch im Regenwald, der nicht umsonst diesen Namen trägt, sondern wegen hoher Niederschläge. Strahlt die Sonne sehr stark, können Bäume bis zu 1000 Liter Wasser täglich in die Atmosphäre abgeben.
Teufelskreis am Amazonas: Brände verhindern die Bildung von Wolken
„Starke Verdunstung führt zur Bildung riesiger Wolkenfelder“, so Thonicke. „Die Wassermengen, die dabei über die Atmosphäre transportiert werden, sind enorm.“ Südlich des Amazonas verursachen diese im Englischen „Flying Rivers“ genannten Wolken dann starke Niederschläge. Diese könnten auch in der aktuellen Situation helfen, bleiben aber unter anderem wegen der Brände aus - ein Teufelskreis.
Ein weiterer Punkt, der die Waldbrandgefahr erhöht, ist der Verlust der „Sonnenschirme“. Damit sind die obersten Blätter der Bäume gemeint, die die unteren Regionen vor zu starker Sonneneinstrahlung schützen. Fehlen diese Bäume, trocknet der Boden aus und weitere Bäume sterben ab und die Gefahr von Waldbränden steigt weiter, so Thonicke.
Ein weiteres Problem, das so vielen nicht bewusst ist, ist die Gewöhnung des Amazonas-Regenwaldes und seiner Tiere und Pflanzen an Feuer. Während manche Palmsavannen im Amazonas-Becken alle paar Jahre brennen und manche Felder bewusst mit Feuer gereinigt werden, gilt das nicht für den nun brennenden Regenwald. Die dortige Flora und Fauna ist nicht an Feuer angepasst und hat ohne Hilfe keine Chance zu überleben.
Amazonas-Katastrophe: G7-Staaten wollen helfen - aber Bolsonaro sagt Nein
Dabei ist es nicht hilfreich, dass sich Brasilien in Person von Präsident Bolsonaro nicht helfen lassen will. Über eine von den G7-Staaten beim Gipfel in Biarritz zugesagte Soforthilfe in Höhe von 18 Millionen Euro, die vor allem Löschflugzeuge finanzieren soll, will er nur Gespräche führen, wenn sich Emmanuel Macron bei ihm entschuldigt.
„Zuerst muss Herr Macron seine gegen meine Person gerichteten Beleidigungen zurücknehmen", so Bolsonaro, der dem französischen Staatsoberhaupt vorwarf, ihn als „Lügner“ bezeichnet zu haben. Umweltschützer machen den brasilianischen Präsidenten dafür verantwortlich, dass die Brände im Amazonasgebiet in diesem Jahr massiv zugenommen haben. Der wiederum vermutet Umweltschützer als Verursacher der Brände.
Immerhin hatte Bolsonaro am Wochenende auf internationalen Druck hin per Dekret verfügt, dass das Militär im Inneren eingesetzt werden dürfe, um bei den Löscharbeiten zu helfen. Im Amazonasgebiet stehen mehr als 43.000 Soldaten zur Verfügung. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte beim G7-Gipfel, dass „die Lunge unserer gesamten Erde betroffen ist. Deshalb müssen wir hier auch gemeinsam Lösungen finden.“