Niedrige Corona-Sterberate wegen mehr „Dunkler Materie“ in Deutschland - Forscher mit steiler These

Warum ist die Covid-19-Sterberate hierzulande niedriger als in Großbritannien? Ein Neurowissenschaftler erregt mit seiner Antwort Aufsehen.
- In Deutschland gibt es weniger Tote in Zusammenhang mit Corona* als in Großbritannien.
- Der britische Neurowissenschaftler Karl Friston hat dazu nun eine steile These aufgestellt.
- Unter anderem SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach widerspricht ihm aber vehement.
London - Großbritannien unter Premier Boris Johnson verzeichnet europaweit die meisten Toten in Zusammenhang mit Sars-CoV-2* und aktuell auch einen handfesten Corona-Skandal. Der britische Neurowissenschaftler Karl Friston hat das Land in der Pandemie* nun mit Deutschland verglichen - und einen kühnen Glaubenssatz aufgestellt.
In einem Guardian-Interview sprach Friston, der dem unabhängigen Sage-Komitee angehört, welches die britische Regierung berät, zunächst über seine Methodik. „Wir orientieren uns an der Physik, speziell an Richard Feynman, weil das Vorgehen dort ‚unter die Motorhaube‘ des Problems sieht. Es versucht die mathematische Struktur - in diesem Fall die der Corona-Pandemie - zu durchdringen und die Ursachen zu verstehen. Da wir nicht alle Ursachen kennen, müssen wir auf sie schließen.“ Dies beinhalte natürlich gewisse Unwägbarkeiten, weshalb er von einem „generativen Modell“ spreche.
Coronavirus-Forscher: „Deutschland hat mehr immunologische ‚Dunkle Materie‘“
Im Zuge dieses Modells haben Friston und sein Team sich auch die Corona-Daten* aus Deutschland angesehen. Warum es hier weniger Covid-19-Todesfälle gab? Friston antwortet zunächst, dass dies nun „nicht intuitiv“ klingen möge, aber: „Eine immer wahrscheinlicher werdende Erklärung ist, dass Deutschland mehr immunologische ‚Dunkle Materie‘ besitzt - Menschen, die eine Form natürlicher Resistenz gegen das Virus besitzen.“
„Dunkle Materie“ ist ein Konzept aus der Physik und bezeichnet eine Form von Masse, die nicht sichtbar ist, aber dennoch auf die Schwerkraft wirkt. Sie ist nicht nachgewiesen, aber Grundpfeiler vieler physikalischer Modelle. „Wir können sie nicht sehen, aber wir wissen, dass sie da sein muss, um zu erklären, was wir sehen.“, so Friston in dem Gespräch.
These zu Corona-Toten in Deutschland - Experten widersprechen
„Es sieht zwar so aus, als sei die Corona-Sterberate in Deutschland wegen ihrer besseren Tests vergleichsweise niedrig“, erläuterte Friston weiter. „Aber es ist wohl eher so, dass sich der Durchschnittsdeutsche weniger schnell ansteckt als der Durchschnittsbrite.“
Dunkle Materie in der Immunologie? Eine Idee, gegen die sich viele sträuben. So sagte Jonas Schmidt-Chanasit vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin auf Anfrage des Spiegel, es gebe sicher Ursachen, bei denen auch Zufall und Glück eine Rolle spielten. „Es ist zum Beispiel gut, dass der Webasto-Cluster so früh entdeckt wurde und es keine weitere Ausbreitung von diesem Cluster aus gab.“
Dunkle Materie: Karl Lauterbach (SPD) zur Coronavirus-These: „Besagt eigentlich nichts“
Auch Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung sieht die Friston-Corona-These skeptisch. Die Deutschen hätten viel früher als die Briten gehandelt und mehr getestet - und überhaupt: „Dunkle Materie kann alles Mögliche sein - eigentlich heißt es ja nichts anderes, als dass es Dinge gibt, die wir bislang nicht kennen und erklären können“, so der Bericht.
Und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der in der Corona-Krise präsenter in den Medien ist als sonst, twitterte prompt: „Karl Friston ist einer der wichtigsten Neurowissenschaftler. Aber seine These besagt eigentlich nichts (schwarze Materie=noch unbekannte Faktoren?)... Deutschland hatte Erfolg, weil es schnell reagierte, früh viel testete und ein gutes Gesundheitssystem hat.“
frs
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