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„Knast statt Kleben“: ZDF prangert Bayerns „völkerrechtlich zweifelhaften“ Umgang mit Klima-Aktivisten an

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Bayern ist im Umgang mit Klimaklebern besonders streng: Das Innenministerium verteidigt präventives Einsperren als legitime Option. ZDF deckt menschenrechtliche Zweifelhaftigkeit auf.

München – Die drastischen Mittel gegen Klimakleber in Bayern hat die ZDF-Sendung Die Spur kritisch unter die Lupe genommen. Denn: Die seit 2017 in diesem Bundesland ausgeweitete Regelung für das „Polizeigewahrsam“ führt zu einem verfassungs- und völkerrechtlich umstrittenen Umgang mit Klimaklebern. Das bayrische Innenministerium, welches die Gesetzeserweiterung führend durch den ehemaligen Innenminister Joachim Herrmann ins Rollen gebracht hat und bis heute stützt, wird in der Dokumentation dabei besonders ins Visier genommen

Polizeigewahrsam

Laut Angaben der bayrischen Polizei handelt es sich dabei um „das letzte Mittel“ zur Abwehr von Gefahren „bedeutender Rechtsgüter“. In diesem Fall dürfen Gefährder einer Straftat präventiv eingesperrt werden, d.h. bevor es zu einer offiziellen Verurteilung kommt.

Klimakleber in Bayern teilweise wochenlang eingesperrt: ZDF kritisiert Intransparenz des Innenministeriums

Das in anderen Bundesländern üblicherweise nur für wenige Stunden und in ganz besonderen Ausnahmesituationen angewandte Polizeigewahrsam, findet in Bayern in ausgeweiteter Fassung Anwendung. Grund war 2017 zunächst die Abwehr von Terror-Gefährdern zu fördern. Das umstrittene Polizeigesetz hat eine unbegrenzt lange präventive Einsperrung zugelassen. Die 2021 verabschiedete Version verkürzt den zulässigen Gefängnisaufenthalt auf zwei Monate, ermöglicht aber noch immer weitaus größere Eingriffsbefugnisse als in anderen Bundesländern..

Die extrem weit gefassten Eingriffsbefugnisse machen keinerlei Unterscheidung zwischen Terrorismus und Bagatelldelikten.

Leonie Krüger, Demonstrantin gegen das bayrische Polizeigesetz

Neben der Dauer steht auch immer wieder die Anwendungswillkür in der Kritik. Demonstrierende Bürger, kritische Stimmen von Politikern und mehrere Klagen gegen das Polizeiaufgabengesetz beziehen sich auf die gehäufte Anwendung einer präventiven Einsperrung abseits von Terrorgefährdungen – darunter vor allem im Hinblick auf Klimakleber. ZDF bittet das bayrische Innenministerium um eine Benennung konkreter Fallzahlen und einer allgemeinen Stellungnahme – zunächst erfolglos. Anders als in anderen Bundesländern werden diese nicht statistisch erfasst, ergeben die Ermittlungen des Senders.

„Fünf Minuten reichen aus, um mich fünfzehn Tage ins Gefängnis zu stecken“ – ZDF-Forschung deckt mindestens 71 Fälle in Bayern auf

Da es keine genauen Auskünfte des Innenministeriums gab, hat sich das ZDF-Team einen Überblick über die Häufigkeit verschafft und in verschiedenen Klimagruppen nach Betroffenen gesucht. Viele berichten nach Protestaktionen tage- oder wochenlang in Gewahrsam genommen worden zu sein. 76 Fälle konnten offiziell bestätigt werden. Unter ihnen der 19-jährige Vincent Schäfer aus München. Über Weihnachten und Silvester musste der Klimaaktivist in einer Einzelzelle verbringen. „Für mich war es am schwierigsten zu wissen, dass meine Eltern sich Sorgen machten und Weihnachten ohne mich verbringen mussten.“

Klima-Kleber vorbeugend im Knast? ZDF-Doku widmet sich der Verhältnismäßigkeit.
Klima-Kleber vorbeugend im Knast? ZDF-Doku widmet sich der Verhältnismäßigkeit. © Screenshot/ZDF: Die Spur

Kurz vor Beginn einer Straßenblockade wurde Vincent gemeinsam mit neun weiteren Aktivisten von der Polizei abgeführt und anschließend einem Haftrichter vorgeführt. „Fünf Minuten reichten aus, um mich fünfzehn Tage ins Gefängnis zu stecken“, schildert der Medizin-Student weiter. Bei der Verhandlung habe er ausgesagt, an weiteren Straßenblockaden teilzunehmen – wahrscheinlich ausschlaggebend für die Entscheidung, ihn in Gewahrsam zu nehmen.

Menschenrechtlich bedenklich? Stellungnahme des Innenministeriums

Freiheitsentzug sei eines der „schärfsten Schwerter“, die der Rechtsstaat habe, heißt es in der ZDF-Doku. Auch Rechtswissenschaftler Felix Hanschmann bestätigt mit Blick auf die bayrische Methode „eine verfassungs- und völkerrechtliche Zweifelhaftigkeit“. Mit den eigenen Ermittlungsergebnissen konfrontierte das Reporterteam das bayrische Innenministerium erneut.

Auszugsweise heißt es in der Antwort: „Während des Gewahrsams wird die angekündigte Begehung von Straftaten oder die Gefährdung anderer durch die betreffende Person wirksam unterbunden.“ Doch handelt es sich im Umgang mit den Klimaklebern tatsächlich um das „das letzte Mittel“ zur Abwehr von Gefahren „bedeutender Rechtsgüter“? Die Dokumentation bündelt Gegenargumente.

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