„Dachten, wir haben diesen Stern verstanden“ – Forschung wirft neue Fragen über die Sonne auf

Ein ungewöhnliches Teleskop ermöglicht es einem internationalen Forschungsteam, die Sonne buchstäblich in einem neuen Licht zu sehen. Das Team ist verblüfft.
Lansing – Weil die Sonne der erdnächste Stern ist, weiß man über sie relativ viel. Erst kürzlich ist eine Forschungsgruppe beispielsweise dem größten Geheimnis der Sonne auf die Schliche gekommen. Doch der Stern im Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist immer noch für Überraschungen gut, wie eine neue Studie zeigt, die von einem internationalen Forschungsteam im Fachjournal Physical Review Letters veröffentlicht wurde. Die Studie beschäftigt sich mit der Gammastrahlung, dem energiereichsten Anteil der Sonnenstrahlung. Gängige Modelle gehen davon aus, dass diese Strahlung durch die Interaktion der Sonne mit kosmischer Strahlung entsteht.
Ab dem Jahr 2011 konnte das Nasa-Gammastrahlenteleskop „Fermi“ tatsächlich erstmals eine solche Strahlung nachweisen – es schien sogar mehr Strahlung zu geben, als das Teleskop messen konnte. Damals gab es allerdings kein Instrument, das in der Lage gewesen wäre, mehr Gammastrahlung zu messen. Mittlerweile gibt es jedoch ein eher ungewöhnliches Teleskop, das es möglich macht: Das High-Altitude Water Cherenkov Observatory (HAWC).
Ungewöhnliche Teleskopanlage erkundet Gammastrahlen der Sonne
Es handelt sich um ein Netzwerk aus 300 großen Wassertanks, die mit jeweils 200 Tonnen Wasser gefüllt sind und sich eine bestimmte Eigenschaft von Gammastrahlen zunutze machen. Die großen Tanks befinden sich knapp 4000 Meter über dem Meeresspiegel in Mexiko. Treffen Gammastrahlen die Luft in der Atmosphäre, entstehen „Luftschauer“ – kleine Explosionen, die mit bloßem Auge nicht zu sehen sind. Dabei entstehen neue Partikel, die mit dem Wasser in den großen Tanks interagieren. Das Ergebnis ist die sogenannte Tscherenkow-Strahlung, die mit den Instrumenten des HAWC gemessen werden kann.
Seit 2015 sammeln Forscherinnen und Forscher mit dem HAWC Daten, seit 2021 untersuchen sie die Gammastrahlen der Sonne. „Nachdem wir uns die Daten von sechs Jahren angesehen hatten, tauchte dieser Überschuss an Gammastrahlen auf“, erinnert sich die Forscherin Mehr Un Nisa von der Michigan State University in einer Mitteilung. „Als wir das zum ersten Mal sahen, dachten wir: ‚Das haben wir definitiv verbockt. Die Sonne kann bei diesen Energien nicht so hell sein.“
Forschungsteam entdeckt Gammastrahlen-Überschuss der Sonne
Doch weitere Analysen bestätigten den Gammastrahlen-Überschuss der Sonne. Das Forschungsteam hat erstmals gezeigt, dass die Energie der Sonnenstrahlen in den Teralektronenvolt-Bereich gehen. Die Beobachtung sorge derzeit für mehr Fragen als Antworten, heißt es bei der Michigan State University. Forscherinnen und Forscher wollen nun untersuchen, wie die Gammastrahlen der Sonne solche hohen Energiewerte erreichen können und welche Rolle das Magnetfeld der Sonne dabei spielt.
Weltraum-Newsletter
Abonnieren Sie den kostenlosen Weltraum-Newsletter und bleiben Sie auf dem Laufenden.
„Die Sonne ist überraschender als wir dachten“, freut sich die Studien-Mitautorin Nisa über das unerwartete Ergebnis ihrer Arbeit. „Wir dachten, wir haben diesen Stern verstanden, aber das ist nicht der Fall.“ Vor allem das ungewöhnliche HAWC-Teleskop hat laut Nisa zu der Entdeckung beigetragen. „Es lässt uns die Dinge in einem anderen Licht sehen. Buchstäblich.“ (tab)