Schikane-Vorwürfe bei Aldi: Das sagt der Discounter zu den Anschuldigungen

Aldi-Mitarbeiter erheben im „Spiegel“ schwere Vorwürfe wegen schlechter Behandlung gegen den Discounter. Jetzt hat Aldi eine Stellungnahme abgegeben.
Essen - Flexible Arbeitszeiten, Überstunden, volle Einsatzbereitschaft. Das fordern viele Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern. Doch Aldi Nord scheint über das Ziel hinaus zu schießen - zumindest, wenn man den Anschuldigungen einiger Mitarbeiter Glauben schenken darf.
Aldi will Mitarbeiter zu neuen Verträgen bewegen
Wie der „Spiegel“ berichtet, fordere Aldi Nord von seinen Mitarbeiten, dass sie neue Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen unterzeichnen. Mit diesen können die Verkäufer flexibel zur Arbeit gerufen und Überstunden ohne Genehmigung des Betriebsrates gefordert werden. Zudem verlange der neue Vertrag von den Mitarbeitern, von 4 Uhr morgens bis 23 Uhr abends einsatzbereit zu sein. Außerdem riskieren die Mitarbeiter mit ihrer Unterschrift ihre Umsatzprämie, heißt es weiter im Bericht.
Fast 36.000 Mitarbeiter seien betroffen. Ein Großteil soll bereits unterschrieben haben. Aber wieso unterschreiben Mitarbeiter einen Vertrag, der derartige Nachteile birgt? Der angebliche Grund: Laut dem Nachrichtenmagazin wurden Angestellte, die sich weigerten, den Vertrag zu unterzeichnen, unter Druck gesetzt.
Betroffene berichteten dem Spiegel, wie sie mit unangekündigten Kontrollen, beschädigten Waren und mehreren Zusatzaufgaben schikaniert wurden. Teilweise sei fünfmal mehr Ware angeliefert worden, um den Laden „zuzustopfen“ behauptet Filialleiterin Carolina Matzke. Sogar die Kündigung sei ihr nahegelegt worden, als sie den neuen Vertrag nicht unterschreiben wollte.
Aldi Nord bestreitet die Vorwürfe
Aldi Nord wehrt sich gegen die Anschuldigungen. Es gebe keinerlei Zusammenhänge zwischen den Lieferungen und der Vertragsunterzeichnung. Jedoch berichten sogar ehemalige Regionalverkaufsleiter, dass sie angehalten worden seien, Mitarbeiter stärker zu kontrollieren und Gründe für Abmahnungen zu sammeln.
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Betriebsräte berichteten zudem, dass Konzernmanager ihnen gedroht hätten. So sollten angeblich Filialen verkauft werden, Fuhrparks ausgegliedert oder Standorte komplett geschlossen werden. Und das, obwohl die Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen Gesetz und Tarif widerspreche, erklärte Betriebsratschef Uli Kring gegenüber dem „Spiegel“.
Darüber hinaus sollen die Konzernmanager die Mitarbeiter mit einem Trick locken: So verspricht die Konzernführung die Einführung der elektronischen Zeiterfassung. Damit wird die Erfassung von Überstunden sichergestellt. Diese soll es aber nur geben, wenn mindestens 90 Prozent der Mitarbeiter die neuen Verträge unterschreiben.
Will Aldi Nord aus der Tarifbindung aussteigen?
Kritiker befürchten, dass Aldi Nord plane, mit den neuen Verträgen aus der Tarifbindung auszusteigen. Der Discounter verneint dies jedoch. Man wolle nur „auf gegenwärtig absehbare Zeiten in der Not vorbereitet sein“, zitiert der „Spiegel“ einen Unternehmenssprecher. Die Filialleiterin Matzke hat sich derweil mit anderen Verweigerern vernetzt und die Gruppe „Die Dissidenten“ gegründet. Außerdem habe sie ihren Arbeitgeber verklagt.
49 Aldi-Mitarbeiter lassen sich derzeit juristisch vertreten. Einer von ihnen ist der Betriebsrat Jürgen Hedtke. Sein Anwalt habe im Auftrag der Mitarbeiter einen Brief an einen der Erben von Aldi-Nord-Gründer Theodor Albrecht geschrieben. In diesem heißt es, das Vorgehen sei „menschenverachtend“ und stimme nicht mit dem von Aldi in der Öffentlichkeit propagierten Leitbild überein.
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Aldi gibt ausführliche Stellungnahme ab
Aldi Nord hat zu dem „Spiegel“-Bericht mittlerweile eine Presseinformation herausgegeben. Im folgenden finden Sie die Stellungnahme des Discounters im Wortlaut:
ALDI Nord war und ist seit je her tarifgebunden und wird es auch bleiben.
Essen, den 15.08.2018
Die Berichterstattung im SPIEGEL Online vom 15.08.2018 erweckt durch eine unvollständige und verkürzte Darstellung den Eindruck, ALDI Nord würde derzeit in einem Großteil der Gesellschaften neue Arbeitsverträge einführen und hierdurch u.a. einen möglichen Tarifausstieg vorbereiten. Das ist falsch ALDI Nord war und ist seit je her tarifgebunden und wird es auch bleiben. Die Unternehmensgruppe ist sogenanntes tarifgebundenes Mitglied im Arbeitgeberverband HDE. Der Tarifpartner des HDE ist ver.di. Solange der HDE einen Tarifvertrag mit der Gewerkschaft hat, gilt dieser auch für ALDI Nord. Es gab und gibt keinerlei Überlegungen, dies zu ändern. ALDI Nord bereitet weder einen Tarifausstieg noch einen Haustarifvertrag vor. Es scheint ein Missverständnis zu bestehen, dass ALDI Nord sich eine Gewerkschaft „aussuchen“ könne. Das ist nicht der Fall.
Mit den erwähnten Regelungen in den Arbeitsverträgen zur Tarifgeltung ist die Unternehmensgruppe lediglich den durch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung aufgestellten Erfordernissen nachkommen und hat wie viele andere Unternehmen auch die entsprechenden Details in den Verträgen angepasst. Es handelt sich also nicht um ein ALDI-Spezifikum. Vielmehr finden sich derartige Regelungen in einer Vielzahl von deutschen Arbeitsverträgen. Weder die Verträge, die Betriebsvereinbarungen, noch die Regelungen zur Arbeitszeit, noch die Bezüge der Mitarbeiter verstoßen gegen Tarifverträge. Die pauschale Behauptung, dass die neuen Arbeitsverträge und die dazugehörigen Betriebsvereinbarungen Mitarbeiter schlechter stellen, ist ebenfalls falsch. Auch wenn ALDI Nord nicht beabsichtigt, aus der Tarifbindung auszusteigen, ist es Teil der unternehmerischen Verantwortung – auch für unsere knapp 36.000 Mitarbeiter in Deutschland – auf gegenwärtig nicht absehbare Zeiten in der Not vorbereitet zu sein und dann unternehmerisch handeln zu können. Das hat nichts mit einem geplanten Tarifaustritt zu tun, sondern mit einer selbstständigen Unternehmensfreiheit auszusteigen, wenn es aus wirtschaftlichen Gründen keine andere Wahl gäbe, um so gegebenenfalls vielen tausenden Mitarbeitern den Arbeitsplatz zu retten. Es ist verantwortungslos, mit dieser üblichen Standard-Klausel völlig unbegründet Angst bei unseren Mitarbeitern zu schüren. Schließlich sind die zitierten „neuen Verträge“ auch nicht neu. Sie wurden mit den dazugehörigen Betriebsvereinbarungen gemeinsam mit den ALDI Betriebsräten schon 2014 vereinbart. Weit über 34.000 der knapp 36.000 Mitarbeiter bei ALDI Nord in Deutschland haben bereits seit Jahren diese den rechtlichen Erfordernissen angepassten Arbeitsverträge abgeschlossen. Wer bei seinem alten Arbeitsvertrag bleiben möchte, kann dies ohne Weiteres tun.
Tatsächlich begrüßt aber nahezu die gesamte Belegschaft die mit dem neuen Arbeitszeitmodell einhergehenden Modernisierungen und Verbesserungen, z.B. minutengenaue Zeiterfassung und gerechtere Zulagen. Alle Gesellschaften der Unternehmensgruppe ALDI Nord zahlen nicht nur den Lohn des Einzelhandeltarifvertrags, sondern eine übertarifliche Vergütung an alle Beschäftigten, vom Filialverantwortlichen über den Azubi und den Mitarbeitern in Logistik und Lager. Auch dies hat ALDI Nord mit seinen Betriebsräten in Betriebsvereinbarungen vereinbart und die übertariflichen Leistungen für mindestens zehn Jahre garantiert, was in der Branche einzigartig ist. Damit gibt ALDI Nord ein klares Signal des Vertrauens in die Zukunftsfähigkeit der Unternehmensgruppe und in die Bedeutung des Beitrags ihrer Mitarbeiter für den Erfolg des Unternehmens.
lw/Glomex
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