Brexit stößt deutsche Konjunktur ins Sommerloch
Das Ifo-Geschäftsklima zeigt: Weniger zuversichtlich als noch vor einem Monat werten die Firmen ihre Lage. Schon zeichnet sich ab: Das zweite Halbjahr 2016 wird nicht so verheißungsvoll ausfallen wie die ersten sechs Monate des Jahres – späte Wehen des Anti-EU-Votums der Briten.
Der Brexit-Entscheid der Briten schlägt den deutschen Firmenchefs immer stärker auf den Magen. Das vom Ifo-Institut ermittelte Geschäftsklima fiel im August den zweiten Monat in Folge – und das gleich so stark wie seit der Eskalation der Staatsschuldenkrise vor rund vier Jahren nicht mehr.
Das Barometer sank um 2,1 auf 106,2 Punkte, wie eine von den Wirtschaftsforschern lancierte Umfrage unter 7000 Führungskräften zeigt. Das ist der schlechteste Wert seit einem halben Jahr. „Die Konjunktur fällt in ein Sommerloch“, so Ifo-Präsident Clemens Fuest. Ökonomen hatten einen Anstieg des Frühindikators erwartet.
Experten führten das Minus auf das Brexit-Votum zurück: „Es hat sich jetzt etwas stärker ausgewirkt“, sagte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Der Putschversuch und die Spannungen in der Türkei spielten keine große Rolle. Ebenso hätten die Anschläge in Deutschland die Konsumstimmung nicht belastet.
Bei den Börsianern sorgte der Ifo-Rutsch für Verunsicherung: Der Dax weitete seine Verluste aus und lag am Abend mit 0,88 Prozent im Minus. Experten fürchten, dass England wegen des Brexits in eine Rezession rutscht. Deutsche Exporteure müssten mit Einbußen rechnen, ist das Land doch ein wichtiger Kunde. Unternehmen mit starken Handelsbeziehungen zur Insel spüren das schon in ihren Auftragsbüchern. „In der Chemiebranche sind die Exporterwartungen deutlich nach unten gegangen“, sagte Wohlrabe. Im Vormonat habe es schon in der Autoindustrie einen starken Rückgang gegeben. „Da sieht man, dass das Vereinigte Königreich ein wichtiger Markt ist.“ So will der Autobauer Opel Kurzarbeit einführen, ist doch Großbritannien für die Modelle Insignia und Corsa der wichtigste Markt.
Erschwert wird das Geschäft vom Kursrutsch des Pfunds. Es ist seit dem Brexit um etwa zehn Prozent zum Euro abgewertet. Das macht deutsche Waren in England teurer.
Weniger Aufträge
Die Unternehmenschefs beurteilten in der Ifo-Umfrage sowohl die Geschäftsaussichten für die kommenden sechs Monate als auch die aktuelle Lage schlechter. Die Stimmung trübte sich nicht nur in der Industrie ein, sondern auch im Groß- und Einzelhandel. In der Baubranche blieb sie auf Rekordniveau. Bei den Dienstleistern hellte sich das Klima hingegen auf. Das könnte auch am boomenden Inlandstourismus liegen, von dem etwa Hotels und Restaurants profitieren. „Man sieht schon, dass statt in klassischen Urlaubsländern wie Ägypten, Tunesien oder Türkei mehr Urlaub in Deutschland gemacht wird“, sagte Wohlrabe.
Experten rechnen nicht mit einem abrupten Ende des Aufschwungs. „Wir sind zuversichtlich, dass die deutsche Wirtschaft auf Wachstumskurs bleibt“, so Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der Förderbank KfW. Er rechnet 2016 mit einem Wachstum von 1,8 Prozent. 2015 waren es 1,7 Prozent.
Die Zahl der Genehmigungen für den Bau neuer Wohnungen fiel aufgrund niedriger Zinsen im ersten Halbjahr so hoch aus wie seit 16 Jahren nicht mehr – das dürfte so anhalten. Der private Konsum wiederum sollte dank Rekordbeschäftigung, steigenden Löhnen und geringer Inflation wachsen.
Auch das Ifo-Institut hält einen Abgesang auf die Konjunkturerholung für verfrüht. Ob das sinkende Barometer schon eine Trendwende signalisiere, lasse sich noch nicht sagen: „Da muss man den nächsten Monat abwarten“, so Wohlrabe.