Vorsicht vor Haushaltslöchern: Auch Abschreibungserleichterungen müssen finanziert werden

Im Ringen um eine mögliche Koalition könnten sich SPD, FDP und Grüne auch auf deutlich schnellere Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen einigen. Länder und Kommunen würde eine solche Regelung jedoch empfindlich treffen, warnt der Wirtschaftsweise Prof. Achim Truger im Gastbeitrag.
In der Steuer- und Finanzpolitik bestehen zwischen den potenziellen zukünftigen Regierungsparteien große Differenzen: Rot-Grün möchte die Steuern für Wohlhabende und Reiche etwas erhöhen, um damit einen stärkeren Staat sowie Entlastungen im unteren und mittleren Einkommensbereich zu finanzieren. Schwarz-Gelb setzt dagegen auf kräftige Steuersenkungen für Unternehmen und Wohlhabende zur Entfesselung der Wirtschaft. Die in den Wahlprogrammen angepeilten Steuersenkungen sind sehr groß, bei der Union sollen es am Ende 30 Milliarden Euro jährlich sein, die FDP zielt sogar auf gigantische 90 Milliarden Euro ab.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
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Eigentlich klingt das nach unüberbrückbaren Differenzen. Doch es tut sich etwas. Schon vor der Wahl hatte die Union ihre Pläne größtenteils unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Und sowohl Union als auch FDP stellten im Wahlkampf vor allem darauf ab, dass sie nach der Wahl auf jeden Fall Steuererhöhungen verhindern würden. Nun klafft zwischen der Verhinderung von Steuererhöhungen und den formulierten Senkungsplänen offensichtlich eine ziemliche Lücke.
Staatsfinanzen durch Corona tief im Minus
Doch die erklärt sich daraus, dass große Steuersenkungen von vornherein unrealistisch waren: Die Staatsfinanzen sind durch die Corona-Krise tief ins Defizit gerutscht, so dass allein die künftige Einhaltung der Schuldenbremse, auf die Union und FDP besonders drängen, eine Herausforderung wird. Kräftige Steuersenkungen in dieser Lage würden zu drastischen Ausgabenkürzungen führen, was die staatliche Handlungsfähigkeit einschränken und die Konjunkturerholung gefährden würde. Gut also, dass solche Phantasien erst einmal abgeräumt sind.
Wunderwaffe Abschreibungserleichterungen?
Auf der Suche nach kompromissfähigen Entlastungsmöglichkeiten für Unternehmen ist jetzt eine neue Wunderwaffe aufgetaucht, die bei vielen für Begeisterung sorgt. Abschreibungserleichterungen heißt das Zauberwort. Anstatt die Unternehmenssteuersätze zu senken, sollen die Unternehmen Investitionsausgaben schneller abschreiben können. Das bedeutet, dass sie einen größeren Teil der Ausgaben schnell von der Steuer absetzen können. Der Steuervorteil wirkt als Anreiz, schneller oder mehr zu investieren.
Das Gute daran: Unternehmen erhalten nicht wie bei der Steuersatzsenkung einfach eine Steuerentlastung, deren Verwendung im Unternehmen unsicher ist, sondern sie erhalten die Steuerentlastung nur, wenn sie tatsächlich investieren. Die Abschreibungserleichterungen sind also gezielter. Ob das im Moment tatsächlich viel an Investitionen brächte, ist unklar, denn die Unternehmen hatten wegen Corona gerade erst befristete Abschreibungserleichterungen gewährt bekommen, so dass sie wahrscheinlich bereits einiges an Investitionen vorgezogen haben dürften.
Aber noch ein weiterer Vorteil wird genannt: Der Staat hat keine dauerhaften Einnahmenausfälle, für ihn verteilen sich nur die Steuerausfälle durch die Abschreibungen anders über die Zeit. Höheren Ausfällen in den ersten Jahren stehen Mehreinnahmen in den Folgejahren gegenüber, weil die Investition dann ja bereits abgeschrieben ist und nicht weiter abgesetzt werden kann. Das heißt, die Abschreibungserleichterungen schwächen die Staatseinnahmen gar nicht dauerhaft, die öffentlichen Haushalte müssen nur kurzfristig für einige Jahre auf Einnahmen verzichten.
Erweiterte Abschreibungsbedingungen träfen öffentlichen Haushalte in kritischem Moment
Aber genau da liegt das Problem, denn die Einnahmenausfälle würden die öffentlichen Haushalte genau in der brenzligen Übergangsphase zur Wiedereinhaltung der Schuldenbremse treffen und könnten ziemlich groß ausfallen. Nach einer viel beachteten Studie des ifo-Instituts würden kräftige Abschreibungserleichterungen die Investitionen zwar erheblich anschieben, sie würden jedoch im ersten Jahr zu sehr großen Einnahmenausfällen von 17 Milliarden Euro führen und in den ersten drei Jahren noch durchschnittlich 10 Milliarden Euro jährlich ausmachen.
Selbst wenn die neue Bundesregierung einen Weg der Finanzierung fände, etwa durch eine – eigentlich von Union und FDP abgelehnte – etwas großzügigere Interpretation der Schuldenbremse, wären damit die Probleme für Länder und Kommunen nicht gelöst: Auf sie würden zusammen etwa zwei Drittel der Einnahmenausfälle entfallen, auf die Kommunen am Ende fast 45 Prozent, also im ersten Jahr allein 7,5 Milliarden, im Durchschnitt der ersten drei Jahre 4,5 Milliarden Euro.
Erweiterte Abschreibungen könnten öffentliche Investitionen belasten
Gerade um die finanzielle Situation der Kommunen aber muss man sich gegenwärtig ohnehin schon Sorgen machen, weil sie 2021 und in den Folgejahren noch mächtig unter den corona-bedingten Einnahmeausfällen leiden. Müssen sie wegen zusätzlicher Ausfälle als größte öffentliche Investoren in Deutschland ihre Investitionen kürzen, schadet das nicht nur der vielerorts noch beklagenswert schlechten kommunalen Infrastruktur, sondern es wäre auch gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv. Insofern würde sich die Frage der Kompensation der Steuerausfälle bei Ländern und ihren Kommunen stellen, zumal die Länder ohnehin im Bundesrat den Abschreibungserleichterungen zustimmen müssen.
So richtig ausgegoren ist das mit den Abschreibungserleichterungen also offensichtlich noch nicht, und die vermeintliche Wunderwaffe könnte doch erhebliche Kollateralschäden verursachen.
Zur Person: Prof. Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen.