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Größter Klimasünder der Welt: Experten rätseln über Chinas tatsächliche Emissionen

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Chinas Probleme bei der Erfassung der Emissionsdaten liegen auch an der weitverbreiteten Kohlenutzung
Chinas Probleme bei der Erfassung der Emissionsdaten liegen auch an der weitverbreiteten Kohlenutzung © CFOTO/IMAGO

China hat als weltweit größter CO₂-Emittent Probleme bei der Erfassung der eigenen Emissionen. Die Regierung will das Problem angehen, steht jedoch vor massiven Herausforderungen.

Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Climate.Table am 01. Juni 2023.

Peking – Auf der am 5. Juni startenden COP-Zwischenkonferenz in Bonn wird auch über eine globale Bestandsaufnahme zum Fortschritt in der internationalen Klimapolitik (Global Stocktake) beraten. Dabei spielen Emissionsdaten eine zentrale Rolle. Deren Erfassung ist aber nicht einfach. Viele Entwicklungsländer haben in den letzten Jahren kaum Fortschritte bei der Datenerfassung gemacht. Doch auch der weltweit größte CO₂-Emittent China steht dabei vor großen Herausforderungen.

Die chinesischen CO₂-Daten basieren auf Schätzungen und Ersatzindikatoren wie dem Energieverbrauch bei der Produktion. Die Schätzungen für viele energieintensive Wirtschaftssektoren wie der Metallverarbeitung oder den Chemiesektor seien allerdings sehr ungenau und könnten von Anlage zu Anlage stark schwanken, sagen die Experten der Beratungsagentur Trivium China. „Das Fehlen zuverlässiger Emissionsdaten auf Industrie-Ebene könnte es den Behörden langfristig erschweren, die Politik so zu gestalten, dass die Klimaziele erreicht werden“, sagt Cory Combs von Trivium China gegenüber Table.Media. Wie groß die Lücke zwischen geschätzten und tatsächlichen Emissionen ist, ist jedoch unklar.

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China: Daten werden nur unzureichend veröffentlicht

Vergrößert wird die Unklarheit über Chinas Emissionen, weil viele Daten nicht veröffentlicht werden. Anders als in den traditionellen Industriestaaten gebe es „keine regelmäßige Berichterstattung, die die Gesamtemissionen des Landes offenlegen würde“, sagt der Energieexperte Lauri Myllyvirta. Die gesamten CO₂-Emissionen aus dem Energiebereich würden jährlich nur indirekt als Verringerung der CO₂-Intensität in Relation zur Wirtschaftsleistung angegeben, erläutert Myllyvirta gegenüber Table.Media.

„Es gibt keine Aufschlüsselung nach Sektoren“, sagt Myllyvirta. CO₂-Emissionen aus der Zementherstellung und andere Industrie-Emissionen werden nicht veröffentlicht. Externe Analysten müssen die Gesamt-CO₂-Daten aus den veröffentlichten Daten abschätzen. Auch Chinas Nationales Treibhausgas-Inventar („National Inventory“) ist veraltet. Die letzte Bestandsaufnahme wurde 2019 veröffentlicht und basiert auf Daten von 2014. Als Entwicklungsland (Non-Annex-I-Land) muss China nicht regelmäßiger an die UNFCCC berichten.

Hat China zu hohe Emissionen gemeldet?

Das Rätselraten über die tatsächlichen Emissionen könnte aber auch dazu, führen, dass China für 2022 zu hohe CO₂-Emissionen veröffentlicht hat, wie Myllyvirta erläutert. Denn um Energiekrisen wie in der jüngsten Vergangenheit zu vermeiden, hat die Regierung die inländische Kohleproduktion ausweiten lassen. Das führte dazu, dass mehr minderwertige Kohle auf den Markt kam. Davon müssen die Kraftwerke mehr verbrennen, um die gleiche Menge an Energie zu gewinnen. Der Kohleverbrauch stieg also an – nicht aber unbedingt der CO₂-Ausstoß. Denn der ist weniger von der Kohlemenge abhängig als vielmehr von der Qualität der Kohle.

Wenn diese sinkt, gehen auch die Emissionen zurück. Kohle-Bergwerke haben aber falsch oder gar nicht über die abnehmende Qualität informiert. Die Behörden gehen also von einer gleichbleibenden Qualität bei steigendem Verbrauch, steigender Energiemenge und somit steigenden Emissionen aus. Laut offiziellen Daten sind Chinas Emissionen deshalb 2022 um 1,3 Prozent gewachsen. Doch die widersprüchlichen Daten zur Kohlequalität und andere Datenpunkte zeigten eher eine Abnahme der Emissionen von circa einem Prozent, so der Experte Myllyvirta.

Auch Combs sagt: „Der Hauptgrund für die Unsicherheit bei Chinas Emissionen ist der umfangreiche Einsatz von Kohle“, sowohl für die Energieerzeugung als auch für Industrie-Zwecke, beispielsweise die Stahlerzeugung. Dabei gäbe es eine Menge „Quellen der Daten-Unsicherheit“. Für die unterschiedlichen Prozesse werden verschiedene Arten von Kohle mit unterschiedlicher Qualität verwendet. China produziere mehr Stahl als der Rest der Welt zusammen und hat die meisten Kohlekraftwerke. Die potenziellen Punkte für Datenprobleme addieren sich „in einer Größenordnung, die ihresgleichen sucht“, so Combs.

Datenprobleme und Manipulationen im Emissionshandel

Der chinesische Emissionshandel verlangt von den teilnehmenden Kohle- und Gaskraftwerken einen jährlichen Emissionsbericht. Er wird von lokalen Behörden überprüft. Doch dabei fehlt es an den nötigen Ressourcen. „Viele Kommunalverwaltungen haben argumentiert, dass sie nicht über ausreichende Ressourcen verfügen, um den Monitoring-, Reporting- und Verifikations-Prozess umfassend durchzuführen, was häufig zu Datenfälschungen und einer daraus resultierenden Lücke in der Emissionsberichterstattung führt“, sagt Seb Kennedy gegenüber Table.Media. Er ist Analyst bei dem Datenanbieter Transition Zero. Ein Großteil der Daten werde zudem von den Unternehmen „selbst gemeldet und nicht unabhängig überprüft“, so Kennedy.

Beratungsfirmen, die die Daten überprüfen, haben Unternehmen auch schon zur Manipulation geraten, um keine CO₂-Zertifikate zukaufen zu müssen. Laut dem ETS-Experten Zhibin Chen vom Forschungs- und Beratungsunternehmen Adelphi hat das chinesische Umweltministerium das Manipulationsproblem „rechtzeitig erkannt und eine große Datenüberprüfungsaktion durchgeführt, bei der die meisten Daten korrigiert wurden“. Die Regierung hat neue Richtlinien zur Datenerfassung erlassen. In einem großen Land wie China sei es jedoch schwierig, „dafür zu sorgen, dass jedes Unternehmen und jeder Prüfer denselben neuen Standard umsetzen kann“, so Chen. Es brauche Zeit, die Probleme herauszufinden und zu lösen, so der Adelphi-Experte.

Cory Combs von Trivium China sagt: „Ohne genaue Emissionsdaten kann es keine genaue Zuteilung von Zertifikaten“ im Emissionshandel geben. Ab einem gewissen Punkt könnte das „den Mechanismus zur CO₂-Bepreisung untergraben“. Schon die Ausweitung des ETS auf den Stahl-, Zement- und Aluminium-Sektor wurde auch mit Verweis auf die schlechte Datenlage in diesen Sektoren verschoben.

China will die CO₂-Datenlücke schließen

China verfolgt mehrere Maßnahmen zur Überwindung der Datenprobleme. Der Staat:

Laut Cory Combs von Trivium China verfolgt das chinesische Umweltministerium einen klaren Fokus zur Verbesserung der „Detailschärfe und Genauigkeit der Emissionsdaten“. Allerdings verbleiben viele offene Fragen, ob das schon in naher Zukunft gelingen kann, so Combs Einschätzung.

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