Was soll denn damit geschützt werden?
Hoven: Zum einen der internationale, faire Wettbewerb. Denn wenn Unternehmen A besticht und deswegen den Auftrag bekommt, ist das gegenüber Unternehmen B unfair. Eine andere Erwägung ist, dass man die eigene, die deutsche Verwaltung sauber halten möchte. Dahinter steht dann die allerdings empirisch nicht belegte These: Wer im Ausland besticht, der besticht möglicherweise auch bei uns im Inland. Und letztlich geht es auch um den Schutz der Lauterkeit der ausländischen Verwaltung. Wir schützen auch die ausländischen Verwaltungen davor, von unseren Bürgern bestochen zu werden.
Wir haben in unserer Auswertung bislang unveröffentlicher Dokumente große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern festgestellt. Manche verfolgen Auslandsbestechung ambitionierter. Bei anderen stehen seit Jahren null Fälle in der Statistik. Wie bewerten Sie das?
Hoven: Das hat sehr viel mit dem Engagement Einzelner zu tun und der Haltung der Behördenleitung zu tun. Wird den Staatsanwälten hinreichend Zeit für die aufwendige Ermittlung solcher Fälle gegeben – oder müssen sie daneben noch eine Vielzahl anderer Verfahren stemmen? Und wenn man das ein, zwei Mal gemacht hat, dann entstehen auch Strukturen für eine effektive Ermittlung. Dann weiß man: Wie gehe ich an einen solchen Fall ran? Mit wem muss ich reden, um Rechtshilfe zu bekommen?
Aber bei einer Staatsanwaltschaft, wo man diese Erfahrungen nicht hat, sagt man dann oft: Bevor wir jetzt Auslandsermittlungen machen, Rechtshilfe beantragen, Terabyte von Daten auswerten müssen, da stellen wir das lieber ein. Es bietet sich in solchen Fällen, wo man viel Expertise braucht und auch Erfahrung, natürlich immer eine gewisse Zentralisierung an. Also zumindest innerhalb eines Bundeslandes wäre es wünschenswert, dass Schwerpunktstaatsanwaltschaften zuständig sind.
Unser Eindruck ist: Es wird zur Ausnahme, dass jemand im vollständigen Strafverfahren einmal abgeurteilt wird. Die meisten Fälle werden eingestellt. Warum ist das so?
Hoven: In meiner Untersuchung kam es nur in sechs Prozent der Verfahren überhaupt zu einer Anklage. Wurden dann da lauter Unschuldige verfolgt? Aus rechtlicher Sicht ist natürlich unschuldig, wer nicht verurteilt wird. Phänomenologisch ist das natürlich nicht so. Der ganze Strafprozess verlagert sich weg von der gerichtlichen Beweisaufnahme, hinein ins Ermittlungsverfahren. Wenn sich jetzt Staatsanwälte mit Beschuldigten auf eine Geldstrafe einigen und dann lieber einstellen, werden diese Verfahren unsichtbar – und Auslandskorruption nicht als verbreitetes Problem wahrgenommen. Das ist ein Problem. Wir haben das Öffentlichkeitsprinzip in der Justiz.
Und warum passiert das so häufig?
Hoven: Für die Staatsanwaltschaften sind Auslandsbestechungen unglaublich schwer zu ermitteln. Auch hier wird ja immer weiter professionalisiert. Wenn man früher vielleicht noch mit dem Geldkoffer über die Grenze gefahren ist, hat man später Berater im Ausland eingesetzt. Nachdem die deutschen Behörden aber auch das System irgendwann verstanden haben, hat man Scheingeschäfte gemacht.
Und jetzt ist man beim Outsourcing: Man verlagert komplett alles auf ein Tochterunternehmen im Ausland oder veräußert die Ware an lokale Zwischenhändler, die Absprachen mit den staatlichen Entscheidungsträgern werden dann vor Ort vorgenommen und in den Büchern des deutschen Unternehmens findet sich nichts. Da ist dann ganz schwer ranzukommen. Sie müssen im Ausland ermitteln, Rechtshilfe ist ein Riesenproblem, gerade auch in korruptionsaffinen Staaten passiert da fast nichts.
Und wenn man nun auf die andere Seite schaut: die Beschuldigten sind darauf aus, Hauptverhandlung und Öffentlichkeit zu vermeiden. Die Unternehmen im Übrigen auch. Also kommt es immer öfter zu einer Einstellung gegen Auflage. Das ist jetzt, böse ausgedrückt, auch ein bisschen ein Handel. Weil die Staatsanwaltschaft denkt: wir können es wahrscheinlich nicht sicher nachweisen. Und der Beschuldigte denkt: Sie können es wahrscheinlich nicht nachweisen, aber schon die Hauptverhandlung vor Gericht möchte ich nicht – einigen wir uns lieber auf eine Zahlung und dann wird es eingestellt.
In unserer Auswertung haben wir festgestellt, dass fast immer Personen bestraft werden und fast nie die Unternehmen?
Hoven: Das ist ganz ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man sich die Entstehung dieser Taten, die ganze Kriminologie dahinter anschaut, dann sind das in aller Regel Situationen, in denen das Unternehmen ein großes Interesse daran hat, auf irgendeinem Markt Fuß zu fassen und dann Aufträge zu bekommen. Die Mitarbeiter sehen dann: es geht vielleicht nur mit Bestechung.
Da kommt es dann darauf an, was für eine Kultur im Unternehmen herrscht. Lehnt das Unternehmen Bestechungszahlungen ab und hat wirksame Compliance-Strukturen geschaffen, wird der Mitarbeiter – der die Bestechung ja im Interesse des Unternehmens begeht – von einer Straftat eher absehen. In den von mir untersuchten Fällen hatte man allerdings den Eindruck, dass Korruptionszahlungen toleriert und teilweise sogar erwartet wurden. Die Compliance-Abteilung war dann eher ein Feigenblatt oder wurde als Gegner innerhalb des Unternehmens wahrgenommen.
Wenn man Auslandsbestechung durch deutsche Unternehmen wirklich effektiv bekämpfen möchte, dann hilft es nicht bei den einzelnen Mitarbeitern anzusetzen, die letztlich austauschbar sind. Wenn es A nicht macht, macht‘s halt B. Für das Unternehmen muss es selbst unattraktiv sein, so ein Risiko einzugehen.
Dafür muss natürlich ein Gefühl der Abschreckung im Raum stehen. Haben Sie das Gefühl, dass Geldauflagen, die ja nicht öffentlich werden, geeignet sind, dieses Abschreckungsgefühl herzustellen?
Hoven: Nein, überhaupt nicht. Die bisherige Situation ist gar nicht abschreckend für Unternehmen. Die Sanktionen gegen die einzelnen Mitarbeiter können dem Unternehmen relativ egal sein. Das kündigt den Mitarbeiter, kann im Zweifel sogar noch sagen, ich war Opfer einer Untreue durch diesen Mitarbeiter. Was in den USA passiert, das ist abschreckend für die Unternehmen. Zahlungen in zwei-, dreistelliger Millionenhöhe. Was wir in Deutschland haben, das sind für Großunternehmen Peanuts.
Stattdessen sehen wir in unserer Recherche, dass die Beschuldigten oft wegen ganz anderer Sachen bestraft wurden: Wegen Untreue oder Betrug oder Steuerhinterziehung, aber nicht wegen der Bestechung.
Hoven: Das ist etwas, das ich auch beobachtet habe. Dass gesagt wird: Wenn die Auslandsbestechung so schwer nachweisbar ist, dann bestrafen wir zumindest das, was wir nachweisen können. Grade bei der Untreue ist das sehr spannend. Da wird dann derjenige, der die Bestechung veranlasst hat, wegen Untreue gegenüber seinem eigenen Unternehmen bestraft. Das ist dogmatisch richtig, denn dem Unternehmen wurden Gelder entzogen, die zur Bestechung verwendet wurden. Aber kriminologisch ist das falsch. Die Mitarbeiter bestechen ja in der Regel, um dem Unternehmen Aufträge zu verschaffen – und dann wird die Person bestraft, wegen Untreue zulasten dieses Unternehmens? Das macht die Auslandsbestechung unsichtbar und das Unrecht wird so gar nicht adäquat abgebildet. Denn das eigentliche Unrecht besteht darin, dass im Ausland bestochen wurde.
Wir haben in unserer Recherche gemerkt, dass wir nur sehr wenige Informationen bekommen. Auch die OECD fordert von Deutschland mehr Transparenz bei der Bekämpfung von Auslandskorruption. Wie sehen Sie das?
Hoven: Das ist ein wichtiger Punkt. Natürlich dürfen wir Einzelne nicht öffentlich an den Pranger zu stellen. Aber ich halte ich es schon für wichtig, mehr zu erfahren über die Methoden, die betroffenen Branchen und Länder. Man muss ja nicht das ganze Unternehmen benennen, aber die Phänomene stärker erfassen und das Problem sichtbar machen.
Auslandsbestechung verjährt nach fünf Jahren. Ist das zu kurz?
Hoven: Mir haben viele Staatsanwältinnen und Staatsanwälte gesagt, dass sie das nicht glauben. Denn je länger eine Tat zurückliegt, desto schwerer wird es, sie nachzuweisen. Aus praktischer Sicht stimmt das sicher. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass diese Verjährungsfristen problematisch sind bei einem solchen Delikt: denn das Fehlverhalten wird abgeschirmt durch die Struktur des Unternehmens. Die Staatsanwaltschaft hat nicht einfach nur nicht hingeguckt, sondern sie kommt schlicht nicht ran. Und diese Struktur schützt die Unternehmen dann vor einer Strafverfolgung. Daher hätte ich schon Sympathie für eine Erweiterung der Verjährung, um zum Beispiel bei zufälligen Funden in anderen Verfahren auch festgestellte Auslandsbestechungen noch bestrafen zu können.
In unserer Auswertung gehen die meisten Verfahren auf Hinweise aus dem Ausland zurück, oder auf Steuerermittlungen. Hinweisgeber spielen fast keine Rolle. Warum ist das eigentlich immer noch so?
Hoven: Das ist eine ganz zentrale Frage bei der Auslandsbestechung: Wie kommt man überhaupt an diese an diese Fälle? Entweder, indem man von außen in diesen Kosmos des Unternehmens eindringt. Also weil bei einer Betriebsprüfung etwas aufgefallen ist zum Beispiel. Oder, indem etwas vom Inneren nach außen dringt, durch Mitarbeiter und Hinweisgeber. Doch das kommt nur sehr selten vor. Das liegt mitunter an der Loyalität der Personen, viele Mitarbeiter identifizieren sich wirklich ganz stark mit ihrem Unternehmen . Ein Grund ist aber auch, dass der Hinweisgeberschutz in Deutschland immer noch nicht gut ist. Da haben wir aber leider noch immer eine Kultur, dass wir das als Denunziantentum wahrnehmen und ablehnen.
Wie wird das Thema Auslandsbestechung denn bei den Richtern und Staatsanwälten selbst gesehen?
Hoven: Teilweise habe ich mit Staatsanwältinnen und Staatsanwälten gesprochen, die da sehr kritisch waren und gesagt haben, sie sehen das große Unrecht nicht. Die mir sagten: „Beim Mord weiß ich genau, warum ich ermittle. Bei der Bestechung ist mir das nicht so klar. Der schafft ja Arbeitsplätze für die deutsche Wirtschaft und man muss das oft tun im Ausland.“ Es ist deren Job, das geltende Recht zu verfolgen, und das machen sie auch. Aber wenn man erkennt, das ist eine wirklich schwere Straftat, dann begegnet man dem natürlich mit anderem Einsatz. Da setzt die Behördenleitung auch den Ton. Das ist immer eine Frage von Kapazitäten und Ressourcen, aber eben auch der Prioritätensetzung.
Was wir uns hier anschauen konnten, ist ja nur das Hellfeld. Also die Sachen, die überhaupt in irgendeiner Form sichtbar geworden und aktenkundig geworden sind. Nicht davon erfasst ist das Dunkelfeld. Wie viel wissen wir denn überhaupt?
Hoven: Ich habe Studien ausgewertet, die deuten darauf hin, dass wir ein extremes Dunkelfeld haben. Da sprechen alle Faktoren dafür, wenn uns berichtet wird, von Leuten vor Ort oder von den Beschuldigten: Das ist gang und gäbe in bestimmten Ländern, da wird schlicht bestochen. Und gleichzeitig sehen wir die erheblichen Probleme bei der Aufklärung, die natürlich dazu führen, dass sich das große Dunkelfeld nicht erhellen kann. Also wir müssen davon ausgehen, dass das Dunkelfeld gerade im Bereich der Auslandsbestechung erheblich ist.
Elisa Hoven ist Professorin für deutsches und ausländisches Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Leipzig und hat jahrelang zu Auslandsbestechung geforscht. Das Interview führte Marcus Engert.
Die gesamte Recherche gibt es hier zum nachlesen.
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