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200 Milliarden Euro mehr für Energie: Deutschland droht die Rezession

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Von: Prof. Dr. Sebastian Dullien

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Prof. Sebastian Dullien, IMK
Prof. Sebastian Dullien ist Leiter des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). © N. Bruckmann/M. Litzka/dpa

Deutschland steht angesichts rapide steigender Energiepreise vor einem gigantischen makroökonomischen Schock. Alleine wegen des Gaspreisanstiegs fehlen den privaten Haushalten rund 80 Milliarden Euro. Damit droht Deutschland eine konsumgetriebene Rezession, schreibt der Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Prof. Sebastian Dullien im Gastbeitrag.

Wie das Statistikamt Destatis diese Woche vermeldete, hat die Inflation im August wieder angezogen. Um 7,9 Prozent stiegen die Verbraucherpreise im Jahresvergleich. Dabei dürfte der jüngste Anstieg nur der Vorbote eines noch kräftigeren Preisschubs in den kommenden Monaten sein. Hauptpreistreiber sind die Preise für Energie und insbesondere Erdgas, und im Großhandel deutet sich an, dass den Haushalten beim Gas noch weitere heftige Preissteigerungen drohen.

So wurde die Megawattstunde Erdgas an der Börse zuletzt mit mehr als 200 Euro gehandelt. Bei gängigen Kosten für das Verteilnetz und den Verkauf von Erdgas entspricht das einem Endkundenpreis von etwa 30 Cent pro Kilowattstunde. Derzeit zahlen die deutschen Haushalte aber erst rund 12 Cent, was auch schon fast einer Verdopplung innerhalb von zwölf Monaten entspricht. Wenn die Großhandelspreise von den Versorgungsunternehmen ganz durchgereicht werden, bedeutet dies: Gegenüber 2021 dürften sich die Heizkosten fast verfünffachen.

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Deutscher Wirtschaft droht gigantischer Schock

Dabei ist der Preisschub bei den Privathaushalten nur ein Teil des Problems: Durch die steigenden Energiepreise droht der deutschen Wirtschaft in den nächsten Monaten ein gigantischer makroökonomischer Schock. Der Schock war im Grundsatz nach der Ukraine-Invasion angelegt, aber er hat sich in voller Größe erst in den letzten Wochen materialisiert, nachdem Russland im Juli die Gaslieferungen gedrosselt hat.

Einen Eindruck von der Größenordnung der Belastung bekommt man, wenn man einmal die Netto-Importrechnung Deutschlands für fossile Energieträger abschätzt. 2019 zahlte Deutschland für die Einfuhr von Erdgas, Mineralölprodukten und Kohle etwa 50 Milliarden Euro.

Für die gleichen Mengen wären bei aktuellen Preisen im Jahr 2023 rund 280 Milliarden Euro fällig, also mehr als 200 Milliarden mehr als vor der Corona-Pandemie. Da dieses Geld ans Ausland fließt, müssen deutsche Unternehmen, die Privathaushalte und der Staat diese Summe zusammen aufbringen. Um das einzuordnen: Der zusätzliche Rechnungsbetrag entspricht etwa 5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung.

Gaspreisanstieg kostet private Haushalte 80 Milliarden Euro

Alleine beim Gaspreisanstieg dürften von dieser Belastung rund 80 Milliarden Euro unmittelbar bei den privaten Haushalten zu Buche schlagen – in Form höherer Gasrechnungen. Für Haushalte mit Gasheizung kommen hier schnell Mehrbelastungen in Höhe von einem Nettomonatsgehalt zusammen.

Zu dieser Belastung kommen dann die zuletzt ebenfalls rapide gestiegenen Preise für Strom und Nahrungsmittel. Diese Belastungen werden viele Haushalte nur dadurch auffangen können, dass sie ihren Konsum an anderer Stelle zurückfahren – Deutschland droht also sehr bald eine konsumgetriebene Rezession.

Natürlich wissen wir nicht, wie schnell der Schock genau durchschlägt. Der tatsächliche Gasimportpreis etwa folgt den Börsenpreisen mit etwas Verzögerung und die Versorger geben die Preiserhöhungen ebenfalls nicht sofort an die Endkunden weiter. Doch wie man es dreht und wendet: Wenn die Börsenpreise hoch bleiben, kommt der Schock früher oder später, und der Schock droht gewaltig zu werden.

Um soziale Krise zu vermeiden, muss die Ampel bei Hilfen rasch nachbessern

Die bisher von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen reichen vorne und hinten nicht, das zu kompensieren: Die im Sommer verabschiedeten Entlastungspakete haben zwar für viele Haushalte einen spürbaren Teil der bisherigen Belastungen aus 2022 ausgeglichen. Die nun kommenden Belastungen sind aber noch überhaupt nicht abgedeckt. Die vom Finanzministerium bisher vorgeschlagene Entlastung bei der Einkommensteuer hat ein Volumen im einstelligen Milliarden-Euro-Bereich – ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn eine wirtschaftliche und soziale Krise vermieden werden soll, muss noch einmal ordentlich nachgelegt werden. Und das schnell.

Zum Autor: Prof. Dr. Sebastian Dullien ist wissenschaftlicher Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

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