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Gas-Lieferstopp – was macht der Markt und was ist zu tun? 

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Prof. Achim Wambach ist seit April 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim.
Prof. Achim Wambach ist seit April 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. © M. Litzka/Imago (Montage)

Bei einem völligen Gaslieferstopp Russlands ist nicht auszuschließen, dass der Gasmarkt in Europa zusammenbricht. Das wirkt sich schon heute aus. Abschaltauktionen und Sparprämien für Haushalte können Abhilfe schaffen, schreibt der Präsident des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Prof. Achim Wambach im Gastbeitrag.

Mannheim - Knapp 50 Prozent der Wohnungen in Deutschland werden mit Gas beheizt. In vielen Wirtschaftssektoren ist Gas der wichtigste Energieträger. Die aktuell hohen Gaspreise haben dazu geführt, dass der Gasverbrauch insgesamt zurückgegangen ist. Zudem wurde einiges dafür getan, damit sich Deutschland vom russischen Gas lösen kann, wie die Planungen zum Aufbau von Flüssiggas-Terminals. Dennoch, bei einem russischen Gaslieferstopp könnte es zu massiven Verwerfungen kommen.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Insbesondere eine Rationierung von Gas ist dann nicht auszuschließen. Der Notfallplan Gas der Bundesregierung sieht dies vor. Aber auch aus ökonomischen Gründen kann eine Rationierung zwingend sein: Bei einer solchen „Gaslücke“ trifft ein unelastisches Angebot – weiteres Gas ist nicht mehr verfügbar, egal wie hoch der Preis steigt – auf eine unelastische Nachfrage: Haushalte reagieren nur sehr eingeschränkt auf Preiserhöhungen, da sie diese nicht unmittelbar sehen und ihren Verbrauch nicht permanent messen und entsprechend anpassen können. Preise, die Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht bringen, gibt es dann nicht. Der Markt bricht zusammen, die Gasbörsen werden den Handel einstellen - staatliche Rationierung wird notwendig.

Gas: Unternehmen stellen sich bereits auf mögliche Rationierungen ein - und produzieren mehr

Die Sorge vor einer Rationierung wirkt sich schon heute aus. Da Unternehmen nicht wissen, ob sie im Rationierungsfall Gas bekommen, verbrauchen sie heute eher mehr Gas, etwa um vorzuproduzieren. Speicher werden langsamer gefüllt, da es unsicher ist, ob man im Rationierungsfall auf das Gas zugreifen kann und unter welchen Konditionen.

Nur als Gedankenexperiment – angenommen, die Unternehmen könnten, wenn sie heute Gas einsparen, sicher sein, dass sie dieses Gas bei einem Gaslieferstopp Russlands verwenden können: Wir würden sehr wahrscheinlich in der Industrie viel höhere Einsparungen sehen als die 11 Prozent, die derzeit zu beobachten sind. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind also die Gaspreise für die Verbraucher zu niedrig – sie sollten eigentlich weniger Gas konsumieren – und andererseits für die Speichernutzer zu hoch – sie sollten mehr Gas kaufen und einspeichern.

Gas: Staat muss in den Markt eingreifen

Deshalb muss der Staat aktiv in den Markt eingreifen – schon heute, auch wenn der Markt derzeit noch funktioniert. Zum einen durch die Sicherstellung der Befüllung der Speicher: Die Befüllungspflicht sowie die Ausschreibungen von sogenannten Strategic Storage Based Options dienen diesem Ziel.

Gasverbrauch reduzieren: Auktionen können helfen, Einsparmöglichkeiten zu finden

Um den Gasverbrauch insbesondere der großen Unternehmen weiter zu begrenzen bieten sich Abschaltauktionen an. Unternehmen bekommen dann Geld dafür, dass sie in bestimmten Situationen ihre Gasnachfrage runterfahren, und zwar möglicherweise nicht nur kurzfristig, sondern für Wochen oder gar Monate. Solche Auktionen helfen dabei, die Unternehmen zu identifizieren, die dies zu den geringsten Kosten machen können. Diese Auktionen sind derzeit in der Abstimmung.  

Die Senkung des Gasverbrauchs der Haushalte und von kleineren Unternehmen ist der dritte Hebel, der aktiviert werden sollte, um sich auf den Lieferstopp vorzubereiten. Die Regierung hat dazu eine motivationale Kampagne gestartet. Ein erster Schritt. Finanzielle Anreize sollten folgen. Wenn ein Vier-Personen Haushalt den Gasverbrauch um 20 Prozent reduziert, dann spart er bei den aktuellen Preisen für Neuverträge über 1.000 Euro.

Auch Haushalte, die noch von langlaufenden günstigen Bezugsverträgen profitieren, sollten dazu gebracht werden, dieses Einsparpotenzial zu realisieren. Etwa durch Prämien, die Haushalte und kleine Unternehmen erhalten, wenn sie mit ihrem Verbrauch zu einem gewissen Prozentsatz unterhalb des Vorjahresverbrauchs bleiben.

Wenn alle Maßnahmen greifen, lässt sich der Marktzusammenbruch vielleicht vermeiden. 

Zum Autor: Professor Achim Wambach ist seit April 2016 Präsident des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Von Juli 2014 bis Ende Juni 2022 war Wambach Mitglied der Monopolkommission, zwischen 2016 und September 2020 als deren Vorsitzender. Der Ökonom gehört außerdem dem Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums an, dessen Vorsitz er von 2012 bis 2015 innehatte.

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