Der Höhepunkt kommt noch

Der künftige Allein-Vorstandschef der Deutschen Bank, Cryan, stimmt Aktionäre und Mitarbeiter auf weiterhin schwierige Zeiten ein. Der Aktienkurs gibt auch gestern nach.
Deutsch und deutlich spricht John Cryan auf seiner ersten Jahrespressekonferenz. Das hatte Vorgänger Anshu Jain bis zuletzt nicht geschafft. Nur einige schwierige Vokabeln im vorbereiteten Redetext („zugegebenermaßen“ zum Beispiel) lässt er aus, auch Fragen beantwortet er lieber in seiner Muttersprache. Bis Mai ist der Brite lediglich einer von zwei Co-Vorstandschefs der Deutschen Bank, doch schon jetzt spielt Jürgen Fitschen nur noch eine Nebenrolle.
Als stummer Statist sitzt er lange Zeit neben Cryan, zu Wort kommt er erst, nachdem dieser, der scheidende Sprecher, der Finanzchef und die IT-Verantwortliche vorgetragen haben. „Vielen Dank, dass sie mir auch noch zuhören“, beginnt Fitschen leicht sarkastisch – und referiert Details zur Region Asien: Die erfolgreiche Aufstellung dort sei in 30 Jahren gewachsen, ein solches Netzwerk habe kein Wettbewerber aus Kontinentaleuropa, und es könne auch keiner aus den USA aufbauen. Natürlich wissen die Zuhörer, dass er selbst lange Jahre in Asien gearbeitet hat; Tenor: Es war nicht alles schlecht früher.
Denn natürlich muss Fitschen die Kritik seines Co-Vorstandschefs, man solle aufhören, Dinge anzufangen, und anfangen, Dinge zu beenden, teilweise auf sich beziehen. In der Vergangenheit seien Entscheidungen getroffen worden, die zu kurzfristigen Erfolgen auf Kosten der langfristigen Entwicklung führten, fährt Cryan fort; aber den Aktienkurs kurzfristig beeinflussen zu wollen sei am Ende nicht erfolgreich. Immerhin, damit ist eindeutig Josef Ackermann gemeint.
Cryan bemüht sich um einen ehrlichen, unprätentiösen Auftritt, mit ernstem Gesicht verkündet er: „Es ist sehr schwierig, bei fast sieben Milliarden Euro Verlust zu lächeln und eine Vision zu entwerfen.“
Fast die Hälfte ihres Wertes hat die Aktie der Bank seit seinem Amtsantritt Anfang Juli verloren, auch gestern sackte der Kurs um 5,4 Prozent ab. Es gab nicht viele positive Botschaften, die der Co-Vorstandschef für 2016 verkünden konnte. Der „Höhepunkt der Restrukturierung“ stehe im laufenden Jahr erst noch bevor – und das, nachdem Kosten für Abfindungen, Rechtsstreitigkeiten und Abschreibungen schon 2015 mit fast 13 Milliarden Euro zu Buche schlugen. Obwohl Cryan die Altlasten lediglich aufräumt, sucht er nicht nach Sündenböcken, sondern sagt: „Ich fühle mich persönlich verantwortlich für den Verlust. Für den gesamten Verlust.“
Die diversen juristischen Auseinandersetzungen haben seit 2012 schon 12,7 Milliarden gekostet, auch im laufenden Jahr wird laut Cryan ein „signifikanter Betrag“ zurückgestellt werden müssen, der aber niedriger ausfallen soll als 2015. Für Abfindungen ist in diesem Jahr eine Milliarde eingeplant.
Finanzvorstand Marcus Schenck erläutert, der Gewinn sei derzeit weniger wichtig als eine schnelle Restrukturierung – und das Eigenkapitalpolster: Die harte Kernkapitalquote war zum Jahresende auf nur noch 11,1 Prozent (der risikogewichteten Aktiva) abgesackt. „Wir werden keinen großen Verlust machen dürfen, weil wir sonst die Kapitalquote zu stark belasten würden.“ Notfalls soll der Abbau nicht strategischer Geschäfte ins Jahr 2017 verlagert werden. Bis 2018 soll die Kapitalquote auf mindestens 12,5 Prozent steigen, doch auch das läge nur 0,25 Punkte über dem Minimum. Noch kritischer sieht es beim Verschuldungsgrad („leverage ratio“) aus, bei dem die Risiken nicht kleingerechnet werden: Der beträgt 3,5 Prozent und muss auf voraussichtlich 5,0 Prozent steigen. Der dafür erforderliche Verkauf der Postbank wird aber möglicherweise erst 2017 zustande kommen.
„Licht am Ende des Tunnels“
Eine Dividende werden die Aktionäre weder für das vergangene noch für dieses Geschäftsjahr sehen. Nicht einmal eine Kapitalerhöhung – Schreckgespenst aller Aktionäre, deren Anteile dadurch verwässert würden – will Cryan ohne Nebenbedingungen ausschließen: Nur „ohne unvorhersehbare äußere Ereignisse“ gebe es keine Notwendigkeit dafür. Obendrein litt zuletzt auch noch das operative Geschäft: Vor allem im Investmentbanking zeigten sich im vierten Quartal starke Bremsspuren, weil die Bank Marktanteile in Aktienhandel und Fusionsberatung verlor, manche Risiken nicht mehr schultern wollte und bei Kunden in immerhin 109 „Hochrisiko-Ländern“ wählerisch geworden ist.
Die Boni für die Mitarbeiter für 2015 sollen deutlich sinken, nach Angaben von Insidern um bis zu 30 Prozent. Das sei angesichts von Aktienkurs-Einbruch und Dividendenausfall „eine Frage der Gerechtigkeit“. Für die aktuellen und im Jahresverlauf ausgeschiedenen Vorstände werden die Boni sogar komplett gestrichen. Der Aufsichtsrat hat das entschieden, Cryan muss es „respektieren“, gibt aber zaghaft Missbilligung zu Protokoll: „Das kann keine langfristige Strategie sein. Wir müssen auch Vorstandsmitglieder motivieren.“
Die Frau des Aufräumers
Trotz all dieser schlechten Nachrichten beweist Cryan jedoch britischen Humor: „Eine deutsche Zeitung hat mich ’Der eiskalte Aufräumer’ genannt – das hat meine Frau hoffentlich nicht gelesen.“ Es mache ihn jedoch stolz, eine Institution wie die Deutsche Bank zu führen: „Wir brauchen Zeit, Entschlossenheit und Geduld. Aber wir sehen Licht am Ende des Tunnels.“ Dann werde es auch wieder „Spaß“ machen, die Bank zu führen.
Die UBS, die Ackermann einst als Blaupause gesehen hatte, ist allerdings weit enteilt. Dennoch nennt Cryan, befragt nach seinem Vorbild, die aktuell wertvollste Bank weltweit, die ziemlich exakt das Zehnfache des Börsenwerts der Deutschen auf die Waage bringt: „Wells Fargo würde ich gerne führen. Dort hätte ich ein leichtes Leben.“