Neue Ära der Unsicherheit

Smartphones hüten immer mehr Informationen über unser gesamtes Leben: Kontakte, Aufenthaltsorte, Kontodaten, Gesundheitswerte. Eine außergewöhnliche Spionage-Software, die iPhones für Angreifer zum offenen Buch machte, ist eine Warnung vor den Risiken dieses Trends.
Auch nach den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden schienen zumindest moderne Smartphones sicher zu sein – doch die Spionage-Software „Pegasus“ stellt das Vertrauen der Nutzer nun auf eine harte Probe. An allen ausgeklügelten Schutz-Mechanismen von Apple vorbei konnte das Programm volle Kontrolle über ein iPhone übernehmen. „Man bekam Zugriff auf alles! Es war nicht mehr Ihr Telefon“, betont Gert-Jan Schenk, Europa-Chef der Sicherheitsfirma Lookout, die „Pegasus“ einfing und sezierte.
Dank drei bisher unbekannter Software-Schwachstellen nistete sich „Pegasus“ direkt im Herzstück des iPhone-Betriebssystems iOS, dem sogenannten Kernel, ein. Das ist der Grund, warum es für die Angreifer keine Grenzen mehr gab. „Selbst wenn man Online-Dienste mit Verschlüsselung nutzt, ist das egal – die Daten werden abgegriffen, noch bevor sie verschlüsselt werden“, erklärt Schenk. „Pegasus“ ist das erste bekanntgewordene Spionage-Programm mit so weitreichenden Fähigkeiten.
Dass diesmal iPhones betroffen sind, ist besonders alarmierend – und auch schmerzhaft für Apple. Denn der Konzern machte den Datenschutz und das Vertrauen der Nutzer zu einem Verkaufsargument und investiert auch massiv in Sicherheit. „Die iOS-Software ist sehr, sehr gut“, bescheinigt auch Lookout-Manager Schenk dem Unternehmen. Umso schockierender ist es, dass „Pegasus“ in drei effizienten Schritten ans Ziel kommen konnte.
Apple stopfte die Lücken nach zehn Tagen Entwicklung (das ist recht schnell für die Verhältnisse der Branche) mit einem Update, Nutzer sollten also schnellstens die Version iOS 9.3.5. installieren, rät das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Der schnellste Weg zum Update führt über die Einstellungen und die Option „Allgemein/Softwareaktualisierung“. Lookout bietet eine Sicherheits-App an, die verspricht, Spionageprogramme aufzuspüren.
Doch die Unsicherheit ist gesät. Auf den Smartphones lagern immer mehr Daten zu unserem gesamten Leben: Privateste Kommunikation, Bilder, Kontoinformationen, Gesundheitswerte. Sie können die Bewegung der Nutzer registrieren und sind auch bei vertraulichen Gesprächen immer dabei. Und moderne Smartphone-Systeme sind komplexe Gebilde mit Millionen Zeilen Software-Code. Wie viele solcher Schwachstellen könnten da noch drinstecken? Wie viele werden auf ähnliche Weise ausgenutzt? Und durch wie viele Telefone fraß sich „Pegasus“ schon durch?
Schwer zu sagen, heißt es bei Lookout. Dass die Entwicklerfirma NSO Group einen jährlichen Umsatz von 75 Millionen Dollar ausweise, zeuge von einem regen Geschäft. Ansonsten könne man nur sagen, dass „Pegasus“ deutlich mehr als ein Jahr unterwegs gewesen sei.
Während nach Erkenntnissen der Experten Menschenrechtler und Journalisten in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Mexiko mit dem Programm angegriffen wurden, dürften gewöhnliche Smartphone-Nutzer bisher noch in Sicherheit sein. Jeder Einsatz der Software birgt das Risiko aufzufliegen – was schließlich auch geschah. Also würde ein Geheimdienst eine solch teure und aufwendig entwickelte Software nur sehr gezielt einsetzen. „Wenn sie in andere Hände geraten sollten, wird es sehr, sehr gefährlich“, warnt Schenk zugleich.
Hersteller aus Israel
Nach Erkenntnissen von Lookout konnte „Pegasus“ alle Versionen des iPhone-Betriebssystems ab dem vor drei Jahren eingeführten iOS 7 befallen. Die Software könne Anrufe mitschneiden, Aufenthaltsorte verfolgen, Kontaktlisten einsehen, E-Mails lesen sowie Daten von Facebook und Kommunikationsdiensten wie WhatsApp, Skype, Telegram, Viber oder We-Chat abgreifen. Die Software sei eigentlich noch besser entworfen als der berüchtigte Wurm „Stuxnet“, der das iranische Atomprogramm sabotierte, sagt Schenk. „Jeden Tag entdecken wir neue Fähigkeiten.“
Die Sicherheitsexperten vermuten hinter der „Pegasus“-Software die Firma NSO Group aus Herzlija nördlich von Tel Aviv (Israel). Gegründet wurde sie vor sechs Jahren von den Unternehmern Omri Lavie, Shalev Hulio und Niv Carmi. Zu den Entwicklern gehören Ex-Mitarbeiter der Computerabteilung einer Geheimdienst-Einheit, die neben Abhörtätigkeiten auch für Cybersicherheit zuständig ist. Der US-Finanzinvestor Francisco sicherte sich 2014 für 120 Millionen Dollar eine Mehrheitsbeteiligung von 70 Prozent an NSO, zwei Gründer halten je zwölf Prozent. Die Firma äußerte sich nicht zur Urheberschaft, verwies aber darauf, dass sie ihre Software nur an Regierungsbehörden verkaufe und auch nicht an Länder, gegen die Ausfuhrbeschränkungen gelten.
Dass unter anderem Geheimdienste grundsätzlich auf bisher unbekannte Schwachstellen setzen, um Geräte aufzuknacken, war spätestens seit Snowdens Enthüllungen geläufig. Mit „Pegasus“ gibt es nun die bisher einmalige Gelegenheit, eine solche Software zu sezieren.
Zugleich blüht ein reger Handel mit Software-Schwachstellen. Erst vor einigen Monaten sorgte eine Firma für Aufsehen, die eine Million Dollar für eine „Zero-Day“-Lücke beim iPhone bot – so werden Fehler genannt, die dem Anbieter unbekannt sind und deshalb frei ausgenutzt werden können.
Belohnung von Apple
Apple, das sich lange dagegen gesträubt hat, eine Belohnung für gefundene Schwachstellen zu zahlen, bietet seit einigen Wochen bis zu 200 000 Dollar für die Aufdeckung von Lücken im Betriebssystem an.
Unter anderem der US-Geheimdienst NSA sucht gezielt nach solchen „Zero-Day“-Schwachstellen und hortet sie oft, auch wenn in den USA ein Regierungsgremium regelmäßig darüber entscheidet, ob sie im Interesse der Öffentlichkeit den Anbietern gemeldet werden sollten. Denn Einfallstore für Geheimdienste könnten auch die Tür für Kriminelle öffnen, wenn sie von ihnen entdeckt werden, warnen Sicherheitsexperten immer wieder.