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Resistent gegen das Brexit-Virus

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Flüchtlinge sind laut BA meist nur für Helferjobs qualifiziert.
Flüchtlinge sind laut BA meist nur für Helferjobs qualifiziert. © Daniel Bockwoldt (dpa)

Großbritannien ist für deutsche Unternehmen ein wichtiger Exportmarkt. Da liegt die Befürchtung nahe, dass das Brexit-Votum deutsche Jobs kosten könnte. Arbeitsmarkt-Experten mahnen dagegen zur Gelassenheit.

Von KLAUS TSCHARNKE

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juni um 50 000 auf 2,614 Millionen gesunken. Das sind 97 000 Erwerbslose weniger als noch vor einem Jahr, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA) gestern mitteilte. Die Arbeitslosenquote sank um 0,1 Punkte auf 5,9 Prozent. Das ist der niedrigste Wert seit der deutschen Wiedervereinigung. „Der Arbeitsmarkt entwickelt sich weiter positiv“, zeigte sich BA-Chef Frank-Jürgen Weise zuversichtlich. Aber kann sich dieser Trend nach dem Brexit tatsächlich fortsetzen?

Die Nachricht des England-Votums schockte zwar die Finanzmärkte, nicht aber Enzo Weber. Der Prognoseexperte beim Nürnberger Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB) sieht keinen Grund, in Alarmstimmung zu verfallen. Er und andere Experten halten die Auswirkungen eines Brexit für Konjunktur und Arbeitsmarkt hierzulande für begrenzt – vorausgesetzt, Großbritannien wird als Handelspartner nicht schlechter gestellt als etwa die USA. Auch sollte die EU wegen der Brexit-Krise nicht in eine Vertrauenskrise geraten.

Natürlich, so räumt auch Weber ein, sei das Votum der Briten „keine triviale Angelegenheit“. Schließlich sei Großbritannien mit einem jährlichen Außenhandelsumsatz von 127,6 Milliarden Euro Deutschlands fünftgrößter Handelspartner. Vor allem für die deutschen Auto- und Maschinenbauer ist England ein wichtiger Absatzmarkt. So gingen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2015 Autos und Autoteile im Wert von 29,1 Milliarden Euro, Maschinen für 8,8 Milliarden Euro nach Großbritannien. Mit gravierenden Auswirkungen für den deutschen Arbeitsmarkt rechnet der IAB-Forscher dennoch nicht.

Dabei macht er folgende Rechnung auf: „Die deutschen Exporte nach Großbritannien machen etwa sieben Prozent aus. Selbst wenn davon zehn Prozent wegen des Brexit wegfallen, ist das eine Größenordnung, die die Gesamtwirtschaft verkraften kann“. Einzelne Betriebe und Beschäftigte würden den Brexit wohl spüren. Den Arbeitsmarkt in Gänze hält Weber aber für ausreichend robust.

Größere Auswirkungen für den deutschen Arbeitsmarkt sieht auch Arbeitsmarktforscher Stefan Sell nicht: „Wenn Investitionsentscheidungen wegen des unsicheren Umfelds aufgeschoben werden, trifft das wohl eher den britischen Arbeitsmarkt“. Auch glaubt er nicht, dass Absatzprobleme deutscher Autobauer in England deutsche Jobs überflüssig mache: „Das wirkt sich in der Regel nicht 1:1 auf dem deutschen Arbeitsmarkt aus.“ Bisher sei es der deutschen Industrie in solchen Fällen zumeist gelungen, sich neue Märkte – etwa in Asien oder Amerika – zu erschließen.

Tatsächlich scheint es in vielen deutschen Branchen trotz fortdauernder außenwirtschaftlicher Unsicherheit rund zu laufen. Die deutschen Maschinenbauer konnten zuletzt im April große Aufträge an Land ziehen, die Elektroindustrie verbuchte in dem Monat deutlich mehr Aufträge als vor einem Jahr. Und die Stimmung im Mittelstand war laut KfW-Mittelstandsbarometer im Mai ausgesprochen gut. Auch die Bundesbank sieht die deutsche Wirtschaft trotz leicht gesunkener Erwartung in diesem Jahr vor einem stabilen Aufschwung. Sie rechnet genauso wie die OECD mit einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts von 1,7 Prozent.

Das IAB geht davon aus, dass „sich der positive Beschäftigungstrend“ in der zweiten Jahreshälfte fortsetzt. Eine Rolle spielt dabei wohl auch, dass inzwischen vor allem die Binnennachfrage – die Ausgaben des deutschen Staats und ihrer Bürger – und weniger der Export wesentliche Triebkraft für die Konjunktur ist.

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