Russland-Sanktionen: Wie kommen deutsche Chips in russische Panzer?
Knapp ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Kriegs zieht die Bundesregierung eine erste Bilanz der Sanktionen gegen Russland. Der Fund deutscher Chips in russischen Panzern irritiert.
Moskau/Berlin – Ein knappes Jahr ist vergangen, seitdem Russland mit dem Einmarsch in die Ukraine begonnen hat. Der Ukraine-Krieg läuft bisher nicht nach Plan des russischen Präsidenten Wladimir Putin, es zeichnet sich ein langer Krieg ab. Schon innerhalb von Stunden nach dem Einmarsch haben westliche Verbündete und die EU Sanktionen gegen Russland beschlossen. Die EUist nun dabei, das zehnte Sanktionspaket zu schnüren.
Sanktionen gegen Russland werden von deutschen Unternehmen umgangen
Aber die Wirkung der Sanktionen fällt verschiedenen Medienberichten zufolge deutlich schwächer aus als erhofft. Die Bundesregierung schreibt in einem Bilanzbericht, dass die russische Wirtschaft „deutlich resilienter“ als erwartet sei. Das zitiert die Welt aus dem Bericht der Bundesregierung, der noch nicht veröffentlicht wurde. Noch viel schlimmer sei, dass viele westliche Unternehmen – darunter auch deutsche – gezielt die Sanktionen umgehen, indem sie Drittländer wie die Türkei, China und Indien nutzen.
Dass Russland die Sanktionen umgeht, ist schon länger bekannt und war wohl auch zu erwarten. Im Oktober 2022 wurde beispielsweise der russische Staatsbürger Yury Orekhov in Deutschland verhaftet, da er nach Angaben der US-Staatsanwaltschaft zu einem Netzwerk gehörte, das Technik in den USA gekauft hat und anschließend nach Russland schmuggelte. Diese Technik fand schließlich Anwendung beim russischen Militär, so die Anklage.
Das Problem ist aber wohl viel tiefgreifender, als bisher berichtet. Gegenüber dem RND hatten Personen der russischen Logistikbranche bestätigt, dass westliche Unternehmen gezielt Produkte in Drittländer wie die Türkei exportieren, die dann „ohne Probleme“ weiter nach Russland transportiert werden können. Wie die Welt weiter berichtet, wurden nun auch deutsche Halbleiter in zerstörten russischen Panzern in der Ukraine gefunden.

Wie RND schreibt, sind auch Produkte deutscher Unternehmen, wie die des Halbleiter-Riesen Infineon trotz der Sanktionen seit Beginn des Kriegs in Russland angekommen. Infineon hat auf den Vorwurf des RND reagiert und unterstreicht, dass sie mehrmals ihre Vertriebspartner auf die Sanktionen aufmerksam gemacht haben. Auch gegenüber IPPEN.MEDIA sagt das Unternehmen, dass es nicht absichtlich versucht, die Sanktionen zu umgehen.
Dass Sanktionen grundsätzlich umgangen werden, begründet auch, warum die russische Rüstungsindustrie trotz Sanktionen weiterhin so boomt. Ziel der Sanktionen war nämlich unter anderem, das russische Militär empfindlich zu treffen. Die Hoffnung war, dass Russland nicht mehr in der Lage sein würde, Waffensysteme wie Panzer, Marschflugkörper und andere Waffen zu produzieren, da die dafür notwendigen westlichen Bauteile fehlen würden. Dieses Ziel wurde damit eindeutig verfehlt.
Wirkung der Sanktionen gegen Russland durch Drittländer geschwächt
Eine wichtige Rolle spielen dabei Länder wie die Türkei, Indien und vor allem China. Hongkong ist für russische Unternehmen zu einem Zufluchtsort geworden: Laut RND hat sich die Zahl der Neuregistrierungen russischer Unternehmen in Hongkong innerhalb des vergangenen Jahres verdreifacht. Wegen der Sanktionen haben die Unternehmen oft keine andere Wahl, wenn sie weiterhin wirtschaften wollen. Damit ist die russische Wirtschaft zunehmend abhängig von Drittländern – allen voran China.
Im Wirtschaftsausschuss des Bundestags hat die Opposition die Bundesregierung gefragt, was sie gegen die Umgehung der Sanktionen durch deutsche Unternehmen tun wolle. Laut dem Wirtschaftsministerium bestehe dabei allerdings kein Handlungsbedarf.

Der Außenpolitiker Roderich Kiesewetter von der CDU forderte gegenüber der Welt, die Exporte sanktionierter Produkte in Drittländer wie die Türkei stärker zu verfolgen. „Für die EU ist es deshalb wichtig, dass [...] hier politisch, finanziell und wirtschaftlich Druck ausgeübt wird. Vor allem müssen die Strafverfolgungsbehörden gestärkt werden, um effektiver Sanktions- oder Exportkontrollverstöße aufzuklären“. Zudem sollte es weitere Sanktionen geben, so Kiesewetter weiter.
Russische Wirtschaft schrumpft trotz westlicher Sanktionen weniger als erwartet
Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht trotz dieser Probleme eine positive Bilanz zur Wirkung der Sanktionen gezogen. „Die EU-Sanktionen wirken: Sie schwächen die Einnahmebasis des russischen Staates und beschneiden die Möglichkeit zur Produktion insbesondere von technologieintensiven Gütern, auch im Rüstungsbereich“, heißt es dort. Es wird aber auch eingeräumt, dass die russische Zentralbank trotz sehr harter Sanktionen in der Lage war, die russische Wirtschaft insgesamt zu stabilisieren. Und mit den gestiegenen Energiepreisen hat Russland enorm von der Krise profitiert.
Die russische Wirtschaft ist 2022 um 2,2 Prozent geschrumpft. Das ist für Russland viel weniger dramatisch, als zu Beginn erhofft wurde. Die Profite aus der Energiewirtschaft und die allgemeine Kriegswirtschaft scheinen das Land zu stützen. Aber: Mit dem Inkrafttreten der Öl-Sanktionen der EU klafft nun ein Loch in Putins Kriegskasse. Vielleicht wird sich die volle Wirkung der westlichen Sanktionen bald erst entfalten.