Ende der Schuldenbremse: Wirtschaftsweise fordert Reform der „Zukunftsbremse“
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts mehren sich Stimmen, die die Schuldenbremse in Deutschland aussetzen wollen. Eine gute Begründung hätte man ihrer Meinung nach.
Berlin – Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezüglich des Klima- und Transformationsfonds (KTF) hat eine Diskussion über eine mögliche weitere Aufhebung der Schuldenbremse ausgelöst. Monika Schnitzer, die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, sprach sie nun dafür aus. Ihre Kollegin im Rat, Veronika Grimm, ist da jedoch anderer Meinung. Insbesondere Gewerkschaften und die SPD fordern eine Lockerung der Schuldenregeln. Viele Projekte, die durch den KTF finanziert werden sollten, sind jetzt unsicher.
Aussetzen der Schuldenbremse in Deutschland: Notlage für Ausnahme erforderlich
Am Mittwoch (15. November) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass 60 Milliarden Euro an nicht genutzten Krediten, die für den Kampf gegen die Corona-Pandemie vorgesehen waren, nicht rückwirkend in den KTF verschoben werden dürfen. Diese Mittel waren ursprünglich für zahlreiche klimapolitische Projekte der Ampelkoalition vorgesehen. „Es wird deutlich schwieriger werden, die geplanten Investitionen für Klimaprojekte zu finanzieren“, sagte Schnitzer.

„Eine transparente Lösung könnte sein, eine erneute Ausnahme von der Schuldenbremse zu begründen mit den Auswirkungen der Energiekrise“, sagte die Wirtschaftsweise der Düsseldorfer Rheinischen Post (RP). Ihre Kollegin Grimm hält dies hingegen für schwierig. „Das Aussetzen der Schuldenbremse per Notfallregel erfordert eine Notlage“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Dies sei „nur schwer zu argumentieren“.
Schuldenbremse in Deutschland unflexibel: Experte fordert Reform von „Zukunftsbremse“
Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sieht eine solche Notlage jedoch als gegeben an. „Die Auswirkungen der Energiekrise sind längst nicht ausgestanden“, sagte er der RP. Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts zeigt seiner Meinung nach, dass die Schuldenbremse unflexibler und investitionsfeindlicher ist, als viele in Deutschland angenommen haben. „An einer grundlegenden Reform dieser Zukunftsbremse führt kein Weg vorbei.“
Auch Christiane Benner, die Vorsitzende der IG Metall, sieht die Schuldenbremse in Deutschland nach dem Urteil aus Karlsruhe kritisch. Sie bezeichnet die Regelung als „echte Zukunftsbremse“. Deutschland brauche „dringend Investitionen, und zwar nicht nur in die Industrie, sondern auch in unsere Infrastruktur“, sagte sie der Bild am Sonntag. Saskia Esken, die Vorsitzende der SPD, forderte bereits in diesem Jahr eine Aufhebung der Schuldenbremse.
Wirtschaftsweise fordert Reform der Schuldenbremse
Schnitzer, die führende Wirtschaftsweise, sieht mittelfristig eine Reform und Flexibilisierung der Schuldenregeln als notwendig an. „Es scheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass man sich in dieser Legislaturperiode auf eine Reform der Schuldenbremse einigen können wird.“ Die Schuldenbremse in Deutschland ist im Grundgesetz verankert und eine Änderung erfordert eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag.
Kerstin Andreae, die Leiterin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), fordert vor allem schnelle Entscheidungen. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts wirkt sich auf die gesamte deutsche Klimaschutz- und Energiepolitik aus“, sagte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung. Es brauche „schnellstmöglich Klarheit“ darüber, wie geplante Klimaschutzprojekte finanziert werden können.
Habeck sieht auch Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Gefahr
Laut einem Bericht des Spiegels sind unter anderem Milliarden für Klimaschutzprogramme des Bundesumweltministeriums in Gefahr. Es geht beispielsweise um das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, in dessen Rahmen Moore wieder vernässt und Städte begrünt werden sollen. Auch Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz für Verbraucher oder der klimaresiliente Umbau des Waldes sollten aus dem KTF finanziert werden. Hochrangige Regierungsvertreter befürchten zudem, dass auch der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) und damit der Bundeshaushalt 2023 nach dem Urteil verfassungswidrig sein könnten, wie das Handelsblatt berichtete. Im Deutschlandfunk hat sich auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), so geäußert.
SPD-Chefin Esken möchte „weder beim Klimaschutz und seiner sozialgerechten Ausgestaltung noch beim Sozialstaat Einsparungen zulassen“. Stattdessen erneuerte sie die Forderung der SPD, durch höhere Steuern für Spitzenverdiener mehr Einnahmen zu erzielen. Auch DGB-Vorstand Körzell sprach sich dafür aus, „hohe Vermögen stärker zur Finanzierung der Transformation“ heranzuziehen. „Alles andere wäre angesichts der Herausforderungen einfach verantwortungslos“. (wal/AFP)