Solarworld droht Sonnenfinsternis

Ein verlorener Prozess in den USA bedroht das Bonner Solarunternehmen Solarworld. 720 Millionen Euro Schadenersatz könnte Solarworld nicht aufbringen. Noch gibt es eine Berufungsmöglichkeit vor Gericht und die kleine Hoffnung auf eine Verhandlungslösung.
Ein US-Gericht hat den Bonner Photovoltaikkonzern Solarworld zu mehr als 720 Millionen Euro Schadenersatz verurteilt. Das Gericht im Staat Michigan entschied in erster Instanz, dass dem ehemaligen Siliziumlieferanten Hemlock knapp 800 Millionen Dollar für nicht erfüllte Abnahmeverträge plus Zinsen zustünden, wie Solarworld mitteilte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Solarworld kündigte Berufung in den USA an. Unternehmenschef Frank Asbeck nennt die Forderung „absurd“. Wenn die Bonner tatsächlich zahlen müssen, ist das Unternehmen nach eigener Einschätzung in seiner Existenz bedroht.
Das Berufungsverfahren werde voraussichtlich etwa ein Jahr dauern, erklärte Solarworld in einer Mitteilung an die Aktionäre. Für den Fall einer Niederlage auch in zweiter Instanz in den USA rechne Solarworld nicht damit, dass das Urteil in Deutschland vollstreckbar wäre. Gegen die Lieferverträge bestünden kartellrechtliche Bedenken nach europäischem Recht. Sie würden eine Anerkennung des US-Urteils in Deutschland voraussichtlich verhindern. Darüber müsste aber letztlich nach Paragraf 722 der deutschen Zivilprozessordnung noch einmal ein deutsches Gericht in einem Anerkennungsverfahren entscheiden.
Kleines Risiko, große Gefahr
Solarworld bestätigte die bisherige Risikoeinschätzung des Prozesses aus dem aktuellen Geschäftsbericht als „gering“. Sollte es trotz allem zur Vollstreckung kommen, „hätte dies erhebliche negative Auswirkungen auf die Liquiditätslage der Gesellschaft bis hin zur Bestandsgefährdung“, heißt es im Geschäftsbericht. 720 Millionen Euro sind ein Vielfaches der aktuellen flüssigen Mittel des Konzerns.
Eine Kapitalerhöhung, um somit den Schadenersatz bezahlen zu können, dürfte auf wenig Gegenliebe der Aktionäre stoßen. Sie hatten zwischen den Jahren 2013 und 2014 beim Schuldenschnitt noch teils 95 Prozent ihres Geldes verloren.
Das US-Unternehmen Hemlock beruft sich auf langfristige Silizium-Lieferverträge, die 2005 mit Solarworld geschlossen wurden. Das war günstig für die Bonner, solange der Weltmarktpreis für Silizium in den Boom-Jahren der Solarbranche stieg. 2009 aber rutschte der Preis unter anderem durch chinesische Billigangebote dramatisch ab. Solarworld machte plötzlich Verluste mit seinen Langfrist-Kontrakten. Eine Einhaltung der Vereinbarungen – so verteidigte sich der Konzern nun vor Gericht – sei „unpraktikabel“ gewesen. Nachverhandlungen zu den Abnahmepreisen brachten keine dauerhafte Einigung. Hemlock pochte auf die Verträge und erhob schließlich 2013 Schadenersatz-Klage.
In einem früheren Prozess in den USA fand sich einst der Druckerhersteller Kyocera in einer vergleichbaren Lage wie Solarworld. Der Konzern argumentierte ähnlich – und legte damit eine Bauchlandung hin. In beiden Fällen seien „take or pay“-Preise vereinbart worden, betonte das Gericht – und das bedeute, dass die Ware auf jeden Fall bezahlt werden müsse, auch wenn Solarworld wegen des abgestürzten Marktes gar nicht mehr so viel Silizium benötigt und abgenommen habe.
Solarworld beschäftigt weltweit rund 3800 Menschen, 2800 davon in Deutschland, jeweils 1500 und 1000 in den Produktionsstätten Freiberg und Arnstadt, 285 in der Dachgesellschaft in Bonn. Das Unternehmen, das 2013/14 gerade einen scharfen Schuldenschnitt hinter sich gebracht hat und noch in der Restrukturierung steckt, hatte für den Prozess keine Rückstellungen gebildet. Der Börsenkurs fiel am Morgen leicht. Solarworld hatte in der Vergangenheit mehrfach darauf hingewiesen, dass Unternehmenschef Frank Asbeck sich um eine gütliche Einigung mit Hemlock bemühe.
(dpa)