Stada: Verlässlichkeit statt Hokuspokus

Wer soll künftig das Sagen haben bei der Bad Vilbeler Stada AG? Das bisherige Management oder die aktivistischen Investoren um den Hedge-Fonds „Active Capital Ownership“? Nichts Geringeres hatten die Aktionäre bei der gestrigen Hauptversammlung des MDax-Konzerns in Frankfurt zu entscheiden. Der bislang über die Medien ausgetragene Kampf um ihre Stimmen mündete gestern in eine regelrechte Schlammschlacht.
Ausgerechnet den Saal mit dem Namen „Harmonie“ hatte die Stada AG im Frankfurter Congress Center als Schauplatz ihres diesjährigen Aktionärstreffens gewählt: Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Denn dass es bei diesem Treffen alles andere als harmonisch zugehen würde, war angesichts der anstehenden Kampfabstimmung zur Neubesetzung des Aufsichtsrats klar. Als „die spannendste Hauptversammlung des Jahres“ war die Veranstaltung von Finanzexperten zuvor tituliert worden. Entsprechend groß war gestern Vormittag der Andrang: Rund 57 Prozent des Kapitals waren vertreten – in den vergangenen Jahren waren es nie mehr als 37 Prozent gewesen. Fast 1500 Aktionäre und Aktionärsvertreter drängten sich in der „Harmonie“.
Und die erlebten, wie die Fetzen flogen zwischen der Stada-Führung und dem Hedge-Fonds „Active Capital Ownership“ (AOC), der sich im Frühjahr mit knapp über fünf Prozent der Stimmrechte als größter Einzelaktionär des Bad Vilbeler Unternehmens offenbarte und diesen seitdem heftig attackiert – offensichtlich mit dem Ziel, die Kontrolle über das MDax-Unternehmen zu erringen. Dazu wollte der Hedge-Fonds gestern alle sechs Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitgeber-Seite abwählen und durch eigene Kandidaten ersetzen lassen, inklusive des Aufsichtsratschefs Martin Abend. Neben den vier eigenen Anwärtern akzeptierte AOC dafür zwei von vier Anwärter der Stada. Diese hatte sich nach langem Gefeilsche mit AOC eben nur zum Austausch von vier Aufsichtsräten – eines Arztes, vier Apothekern – bereiterklärt. Abend sollte bleiben.
Abend im Trommelfeuer
Der 53-Jährige stand gestern – zusammen mit seinem Stellvertreter Carl Ferdinand Oetker – denn auch im Mittelpunkt des AOC-Trommelfeuers: In seiner 13-jährigen Amtszeit habe Abend die Vetternwirtschaft und Gehaltsexzesse des kürzlich zurückgetretenen Hartmut Retzlaff geduldet, beklagte AOC-Gründungspartner Florian Schuhbauer. Hintergrund: Retzlaff hat Pensionsansprüche in Rekordhöhe von mehr als 32 Millionen Euro ansammeln können; seinem Sohn Steffen ermöglichte er eine gut dotierte Karriere mit mehreren Führungspositionen.
Bewusste Irreführung?
Zugleich schob der öffentlichkeitsscheue Hedge-Fonds-Manager dem Aufsichtsratschef die Schuld für den über die Medien „ausgetragenen Straßenkampf“ zu. „Herr Abend hat die Presse bewusst mit falschen Informationen gefüttert“, so Schuhbauer. AOC habe nie den Konflikt mit Stada gesucht. Auch für verpasste Umsätze und Gewinne machte die „Heuschrecke“ den Vorsitzenden des Kontrollorgans mit verantwortlich. „Er hat dazu beigetragen, dass in seiner Amtszeit rund zwei Milliarden Euro Wert für Aktionäre vernichtet wurden. Nun klammert sich Abend zwar mit aller Macht an sein Amt. Aber sowohl Abend als auch Oetker sind Teil des alten Systems. Sie können nicht Teil eines Neuanfangs sein“, gab Schuhbauer den Aktionären zu bedenken, von denen sich eine ganze Reihe als Kritiker Abends hervortaten. „Ich habe den Eindruck, Sie waren nicht Kontrolleur von Herrn Retzlaff, sondern sein Wasserträger“, spottete ein Kleinaktionär.
Viele Beobachter kritisieren seit Jahren, dass im Aufsichtsrat des MDax-Konzerns – der vor allem mit Ärzten und Apothekern besetzt ist – betriebswirtschaftliche Fachkompetenz fehlt. Was auch daran liegt, dass Stada quasi AG gewordene Apothekertradition ist. Einst war die „Standardarzneimittel Deutscher Apotheker“ eine Genossenschaft – gegründet, um Medikamente mit identischen Inhaltsstoffen in gleichen Verfahren herzustellen und damit gemeinsam mehr Geld zu verdienen. 1970 wurde daraus eine Aktiengesellschaft, deren Anteile nur Apotheker halten durften. Erst seit 1993 können auch Branchenfremde Aktien kaufen.
Heftiger Gegenangriff
Er habe schon vor Jahren versucht, den Aufsichtsrat zu professionalisieren, sei damit aber am Widerstand anderer Aufsichtsratsmitglieder gescheitert, verteidigte sich Abend gestern. Seinen Rücktritt lehnte der 53-Jährige trotz der heftigen Attacken auf ihn ab: 2013 für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt, wolle er bis zum Jahr 2018 bleiben, betonte er. Auf einen Schlag alle Aufsichtsratsmitglieder der Kapitalseite auszutauschen, hieße, „das Unternehmen zu destabilisieren“, argumentierte Abend, der sich bemühte, AOC – und deren Kandidaten – in Misskredit zu bringen: Unter falschen Voraussetzungen habe Aufsichtsrat-Kandidat Klaus J. Kraut AOC-Gründungspartner Klaus Röhrig Zugang zum Stada-Vorstand verschafft, klagte der Aufsichtratschef. Außerdem habe AOC versucht, Kandidaten der Stada aus dem Rennen zu nehmen, indem ihnen lukrative Beraterverträge angeboten worden seien.
Aussagen, die von den Aktionären ebenso mit Buh-Rufen an die Adresse von AOC quittiert wurden, wie der von Abend indirekt geäußerte Verdacht, dass zumindest drei der sechs AOC-Kandidaten vom Schweizer Pharma-Konzern Novartis gesteuert sein könnten – zum Zwecke einer Übernahme durch den Pharma-Riesen. „Wer hat denn die Kandidatensuche von AOC finanziert? AOC jedenfalls nicht“, rief Abend in die Runde. „Bei uns wissen Sie, mit wem Sie uns zu tun haben. Stimmen Sie deshalb für unsere Vorschläge“, warb der Chef des Aufsichtsrats um die Unterstützung der Aktionäre.
AOC will lange bleiben
Den Verdacht, dass der Fonds nur die Zerschlagung der Stada im Sinn hat, um schnell Kasse zu machen, hegen viele Beobachter. Entsprechend deutlich äußerte sich Schuhbauer gestern dazu: „Wir wollen das Unternehmen nicht zerschlagen. Wir sehen uns als langfristiger Anker-Investor, der großes Potenzial bei der Stada sieht“, betonte er. Mit den richtigen Maßnahmen könnte der Konzern in einigen Jahren seine Marktkapitalisierung von derzeit drei auf zehn Milliarden Euro steigern.
Den Eindruck, dass es dazu des AOC bedarf, bemühte sich indes der seit Anfang Juni amtierende Stada-Vorstandschef Matthias Wiedenfels zu zerstreuen, der dem Unternehmen nach Retzlaffs Demission schon ein ambitioniertes Wachstumsprogramm für die kommenden dreieinhalb Jahre verordnet hat. „Wir haben uns lange auf unserem Erfolg ausgeruht“, räumte der 43-Jährige ein. „Aber wir haben nun die nächste Stufe unserer Entwicklung gezündet und sind dabei, unseren Konzern fit für die Zukunft zu machen. Stada braucht sich nicht neu zu erfinden.“ Zudem habe das Management inzwischen auch eine „Veränderung der Kultur angestoßen, die Stada gut tut“, so Wiedenfels mit Blick darauf, dass er Berater seines Vorgängers entlassen und dessen Sohn einen Teil seiner Posten entzogen hat. „Um alle Veränderungen erfolgreich umzusetzen, braucht es den richtigen Ansatz und eine verlässliche Mannschaft, keinen Hokuspokus von irgendwelchen Fonds“, betonte Wiedenfels.
Weißer Ritter verdächtig
Wie Abend brachte damit auch der neue Vorstandschef geschickt das Misstrauen zum Ausdruck, das viele Aktionäre gegenüber dem aggressiven Fonds empfinden – und das offenbar auch die Aktionärsvereinigung DSW umtreibt. Wie andere Aktionäre dankte zwar auch DSW-Sprecher Peter Barth dem AOC dafür, dass er mit seiner Revolte Veränderungen bei der Stada angestoßen hat. „Aber AOC ist ein selbst ernannter Weißer Ritter mit geschlossenem Visier“, bemängelte der Aktionärsvertreter. „Es macht uns schon misstrauisch, dass wir kaum etwas über den Fonds wissen.“