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Treiber und Bremser der Konjunktur

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Der Zustrom von Flüchtlingen (hier eine Erstaufnahme-Einrichtung in Regensburg, Bayern) treibt die deutsche Baukonjunktur, droht allerdings auch die EU zu spalten.
Der Zustrom von Flüchtlingen (hier eine Erstaufnahme-Einrichtung in Regensburg, Bayern) treibt die deutsche Baukonjunktur, droht allerdings auch die EU zu spalten. © Armin Weigel (dpa)

Kauflustige Verbraucher, schwacher Euro, niedrige Inflation – vieles spricht dafür, dass die deutsche Wirtschaft 2016 auf Wachstumskurs bleibt. Es gibt allerdings auch Risiken.

Frankfurt. Volkswirte sind zuversichtlich: Die deutsche Wirtschaft dürfte im kommenden Jahr sogar noch etwas mehr zulegen als 2015 – vor allem dank eines weiterhin dynamischen Konsums. Was treibt die Konjunktur an – und was bremst den Aufschwung?

Was treibt die Konjunktur?

Euroschwäche: Die Gemeinschaftswährung hat zum Dollar kräftig an Wert verloren. Das liegt auch an der Geldflut der Europäischen Zentralbank (EZB). Von der Euroschwäche profitieren Exporteure, denn ihre Waren werden auf dem Weltmarkt tendenziell günstiger. Das fängt die schwächere Nachfrage nach „Made in Germany“ etwa aus China teils auf. Ökonomen erwarten, dass Euro und Dollar sich weiter annähern werden. Nach Einschätzung der Deutschen Bank dürfte „im Jahresverlauf 2016 zumindest ein Kurs von 1:1 erreicht werden“.

Inflation: Die zuletzt extrem niedrige Teuerung dürfte sich nach Einschätzung von Ökonomen nur langsam aus dem Keller bewegen. Dass die Verbraucherpreise kaum steigen, stärkt die Kaufkraft der Verbraucher. Denn wer weniger Geld fürs Tanken und Heizen ausgeben muss, hat mehr für den Konsum übrig. Dazu kommt: Von Lohnerhöhungen bleibt in Zeiten niedriger Inflationsraten unter dem Strich mehr im Geldbeutel übrig. Auch das stärkt die Kaufkraft.

Mini-Zinsen: Die EZB hat die Zinsen im Euroraum quasi abgeschafft. Die Folge: Sparen wird kaum noch belohnt. Gerade in Deutschland beliebte Geldanlagen wie Tages- und Festgeld oder Sparbuch werfen kaum noch Rendite ab. Wer weniger spart, gibt tendenziell mehr Geld aus. Das kurbelt den Konsum an.

Bauboom: Baukredite sind historisch günstig, auch wenn die Hypothekenzinsen im Frühjahr sogar noch günstiger waren als zuletzt. Experten sind überzeugt: Die Nachfrage nach Wohnraum bleibt 2016 hoch, auch weil der Zustrom von Flüchtlingen untergebracht werden muss. Es wird wohl weiter kräftig in Bauen und Renovieren investiert.

Ölpreis: Der Schmierstoff der Weltwirtschaft hat sich seit Sommer 2015 wieder stark verbilligt. Der Preis für ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent sackte bis unter die 40-Dollar-Marke. „Die Chancen stehen recht gut, dass der durchschnittliche reale Rohölpreis in den kommenden zehn Jahren bei etwa 60 Dollar je Barrel liegen wird“, prognostiziert die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) – mit Verweis auf das hohe Angebot. Öl importierende Volkswirtschaften wie Deutschland profitieren von den niedrigeren Energiekosten.

Arbeitsmarkt: Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland sank im November auf 2,633 Millionen – niedriger war der November-Wert nur 1990 unmittelbar nach der Wiedervereinigung. Zwar wird wegen der Flüchtlinge absehbar mit steigenden Zahlen gerechnet. Der Arbeitsmarkt sei jedoch „für die anstehenden Herausforderungen gerüstet“, bilanzierte Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) und zugleich Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Was bremst dieses Jahr?

China: Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sind vorbei, der Industrie-Motor im Reich der Mitte stottert hörbar. Spurlos geht das an Deutschland nicht vorüber, denn China ist wichtigster Wirtschaftspartner in Asien und ein gewaltiger Absatzmarkt für Waren „Made in Germany“.

Euroschwäche: Die Kehrseite des niedrigen Eurokurses sind steigende Importpreise – etwa für Öl, das international in Dollar gehandelt wird. Das trifft nicht nur Unternehmen, die Rohstoffe aus dem Ausland beziehen, sondern auch die Verbraucher. Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise warnte schon im Frühjahr, der Euro-Dollar-Kurs dürfe nicht ins Bodenlose rutschen: „Denn das ist ein Kaufkraftverlust für die Bürger. Es geht Einkommen verloren.“ Am schnellsten merkten das diejenigen, die außerhalb des Euroraums Urlaub machen: „Aber mit der Zeit merken das alle, indem die ganze Palette der Importgüter teurer werden, von Smartphones bis zur Energie.“

Ölpreisrutsch: Er entlastet zwar deutsche Verbraucher und Unternehmen, hat aber auch eine Schattenseite: Er destabilisiert die rohstoffreichen Länder, von denen viele wichtige Kunden deutscher Unternehmen sind. Der arabische Raum galt dank seines Ölreichtums lange als einer der interessantesten Absatzmärkte. „Mit den sicherheitspolitischen Risiken und dem niedrigen Ölpreis hat sich dies jedoch radikal verändert“, klagt der Präsident des Exportverbandes BGA, Anton Börner.

„Brexit“: Die Diskussion über einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sehen viele Ökonomen mit Sorge. An der Frage des „Brexit“ werde sich die Zukunft Europas entscheiden, nicht an der in diesem Sommer hochgekochten Frage, ob das kleine Griechenland aus dem Euroraum ausscheide („Grexit“), meint Helaba-Chefvolkswirtin Gertrud Traud. Die Flüchtlingskrise befeuere die Argumente der EU-Skeptiker auf der Insel, warnte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Der britische Premier David Cameron hat bis spätestens Ende 2017 ein Referendum versprochen, wahrscheinlich ist ein Termin schon im Herbst dieses Jahres. Dann sollen die Briten entscheiden, ob sie die EU verlassen wollen oder nicht.

„Grexit“: Zu den politischen Risiken gehört auch ein erneutes Chaos in Griechenland. Ein Abschied aus der Euro-Zone ist zwar momentan nicht akut, kann aber rasch wieder zum Thema werden. Ministerpräsident Alexis Tsipras hat bislang alle von den Geldgebern geforderten Reformen durch das Parlament gebracht, um so an neue Hilfen zu kommen. Doch schmilzt die Mehrheit seiner Links-Rechts-Regierung: Sie beträgt gerade noch drei Stimmen. Schmerzhafte Reformen durchzubekommen, wird damit für Tsipras immer schwerer. Hinzu kommt: Gewinnen rechtspopulistische Parteien in anderen Euro-Ländern weiter an Zulauf, werden dort mögliche neue Hilfen für Griechenland noch schwerer durchzusetzen sein.

Terror: Mit dem deutschen Militärbeitrag zum Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) wächst auch in Deutschland die Sorge vor Anschlägen. Jörg Zeuner, Chefvolkswirt der KfW, warnt, „ungünstige geopolitische Entwicklungen, etwa bei neuen Terroranschlägen“ könnten das Vertrauen in den Aufschwung beschädigen. Dabei kommt es maßgeblich darauf an, wie nah der Terror rückt. Anschläge in anderen Ländern wirkten sich nach Erkenntnissen der GfK-Konsumforscher in der Vergangenheit meist nicht negativ auf die Verbraucherstimmung in Deutschland aus.

Flüchtlingskrise: Der massenhafte Zustrom von Flüchtlingen dürfte 2016 anhalten. „Der Umgang mit der Flüchtlingskrise sorgt für massive politische Spannungen und beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit der EU immer mehr“, warnt BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels. Dies und die Anschläge von Paris ließen in Frankreich den rechtsextremen Front National zur stärksten Kraft in der ersten Runde der Regionalwahlen werden. Im kommenden Jahr werden unter anderem in den Niederlanden, Irland und Zypern neue Parlamente gewählt. Auch hier könnten rechtspopulistische Parteien an Zulauf gewinnen. „Im Extremfall könnte das zum Auseinanderbrechen der EU führen“, warnt Michels.

(dpa,rtr)

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