EU will „wahrscheinlich krebserregendes“ Glyphosat offenbar wieder für 15 Jahre zulassen
Deutschland will ab 2024 den Einsatz des umstrittenen Pestizids Glyphosat verbieten. In der EU läuft die Zulassung Ende des Jahres ab. Wissenschaftler sind alarmiert.
Brüssel – Kaum ein Pestizid ist so bekannt wie Glyphosat. Nicht nur, weil es das am häufigsten verwendete Pflanzenschutzmittel weltweit ist, sondern vor allem, weil seit einigen Jahren ein öffentlicher Streit darüber entbrannt ist, ob Glyphosat krebserregend ist. Die zahlreichen wissenschaftlichen Studien, die es zu diesem Thema gegeben hat, kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Doch worüber eigentlich Einstimmigkeit besteht, wird vergleichsweise wenig diskutiert: Glyphosat schadet der Biodiversität und trägt zum Insektensterben bei.
EU-Behörden halten Glyphosat für nicht-krebserregend
Die Grabenkämpfe um das Pestizid Glyphosat gehen weit zurück. Schon in den frühen 2000er-Jahren wurden die ersten Studien zum Zusammenhang zwischen dem Pflanzengift und Krebs veröffentlicht. Für besonders viel Aufsehen sorgte aber der Fall eines amerikanischen Kleinbauers, der Glyphosat für seine Krebserkrankung verantwortlich machte. 2019 wurde ihm recht gegeben und der Hersteller, Bayer, musste ihm Schadensersatz in Höhe von 25 Millionen US-Dollar zahlen.
Seitdem wird auch in Europa heftig darüber diskutiert, ob Glyphosat krebserregend ist – und deshalb verboten werden sollte. In der EU läuft die Zulassung für Glyphosat im Dezember 2023 aus, weshalb nun eine Entscheidung gefällt werden muss. Am 22. September will die Kommission offenbar einen Vorschlag vorlegen, der die Zulassung um weitere 15 Jahre in der EU verlängern würde. Im Oktober soll dann über die Neuzulassung abgestimmt werden.
Im Zuge der Neulassung hat die EU die beiden zuständigen Behörden – die Lebensmittelbehörde (EFSA) und die Chemikalienagentur (ECHA) – mit der Untersuchung des Unkrautvernichters beauftragt. Dabei haben beide Behörden tausende Studien analysiert und den Einsatz von Glyphosat in verschiedenen Bereichen untersucht. ECHA kam dabei zu dem Schluss, dass Glyphosat nicht als krebserregend eingestuft werden sollte. Die Agentur behält jedoch die Einstufung als schädlich für Wasserlebewesen bei.
Die Lebensmittelbehörde EFSA kam zu dem Schluss, dass es nicht genug Beweise dafür gebe, dass Glyphosat krebserregend sei. Unter bestimmten Bedingungen, könne das Pflanzenschutzmittel sicher verwendet werden.
Wissenschaftler empört über Entscheidung der Behörden
Damit ist der Weg frei, in der EU Glyphosat erneut für 15 Jahre zuzulassen. Doch viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen halten die Entscheidung für einen Fehler. Bei einer Veranstaltung über die Glyphosat-Zulassung, organisiert von den beiden Europa-Abgeordneten Jutta Paulus (Grüne) und Christophe Clergeau (Sozialdemokraten), kamen diese Stimmen zu Wort. Dabei wiesen einige Wissenschaftler auf problematische oder fehlerhafte Ergebnisse in den von den EU-Behörden analysierten Studien hin. Es gebe genug wissenschaftliche Studien, um eine Einstufung als krebserregend laut EU-Regularien zu begründen, so der Konsens.
Zu den Wissenschaftlern, die zu Wort kamen, gehörte auch der US-Wissenschaftler Christopher Portier, der auch als Experte im Prozess gegen Bayer in den USA ausgesagt hatte. Für ihn ist die Lage klar: auf die Frage, ob Glyphosat für Umwelt und Gesundheit ungefährlich sei, antwortet er ganz einfach: „Nein.“ In den meisten wissenschaftlichen Studien zu diesem Thema konnte ein Zusammenhang festgestellt werden.
Folgen für Ökosysteme unumstritten
Worüber es allerdings Einigkeit gibt – in der Bewertung der EU Behörden aber kaum Beachtung fand – betrifft die Auswirkungen von Glyphosat auf Natur und Umwelt. EFSA stellte fest, dass Glyphosat schädlich für die meisten Säugetiere sei. Doch behauptete die Behörde, dass Landwirte bei der Nutzung des Pestizids darauf achten könnten und Gegenmaßnahmen ergreifen könnten.
Zahlreiche Studien haben mittlerweile die Auswirkungen des Pestizids auf alle möglichen Ökosysteme untersucht: Glyphosat befindet sich mittlerweile überall, im Wasser, in der Luft, in der Erde - und in unseren Lebensmitteln. Auch ist unumstritten, dass das Gift zum Insektensterben beiträgt, was wiederum das Leben der Vögel beeinflusst, die die Insekten als Nahrungsquelle brauchen. Noch wenig untersucht sind hingegen die langfristigen Folgen des Pestizids auf die Ökosysteme.

Während in der EU der Streit noch tobt, hat man in Deutschland schon klar entschieden: Ab 2024 soll die Landwirtschaft aus Glyphosat aussteigen. Das hatte die vorherige Bundesregierung bereits beschlossen. Doch herrscht innerhalb der aktuellen Regierung Unklarheit, ob Deutschland das im Alleingang entscheiden könnte. Sollte die EU die Zulassung für Glyphosat verlängern, ist noch unklar, ob Deutschland sein Verbot aufrechterhalten könnte.
Sollte das Gesetz doch nochmal verändert werden müssen, könnte das Thema zum nächsten Ampel-Streit führen: Die FDP hält eine Wiederzulassung von Glyphosat für geboten, Grüne sind klar dagegen.